In Laboren auf der ganzen Welt erforschen Wissenschaftler unter Hochdruck neue Materialien für nachhaltiges Bauen und Dämmen. Einige wenige werden für erste Pilotprojekte eingesetzt. Und nur eine kleine Schar von innovativen Baustoffen wird anschließend zur Marktreife entwickelt und in der Praxis eingesetzt. Wir stellen Ihnen fünf besonders vielversprechende neue Entwicklungen vor.
„Super-Material“
Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben ein neues „Super-Material“ entwickelt, das vom Gewicht her leichter als Plastik, aber dennoch zehnmal so hart wie Stahl sein soll. Es bestehe „aus Graphen-Flocken, die zu einem großen, mit Spinnweben bedecktem Netzwerk zusammengequetscht und -gedrückt werden“, so Projektleiter Markus J. Buehler. Damit ist den MIT-Wissenschaftlern ein wichtiger Durchbruch gelungen: Sie haben es erstmals geschafft, die besonderen Eigenschaften von Graphen von der zweiten in die dritte Dimension zu überführen.
Graphen gilt bereits seit seiner erstmaligen Herstellung 2004 als Wundermaterial, aber bisher konnten alle Experimente mit dem komplizierten zweidimensionalen Kohlenstoffprodukt keine anwendungsreifen Ergebnisse hervorbringen. „Die auf den ersten Blick fast magisch wirkenden Eigenschaften von Graphen hängen nicht unbedingt nur davon ab, welche Atome verwendet werden. Das Geheimnis liegt viel eher darin, in welcher Struktur diese Atome angeordnet sind“, erläutert Buehler. Er ist zuversichtlich, dass mit dem „Super-Material“ beispielsweise Brücken gebaut werden können, die ultrahart, leichtgewichtig und besonders gut gegen Hitze geschützt sind.
Photokatalytische Baustoffe
Auch die Entwicklung von photokatalytischen Werkstoffen mit selbstreinigenden und schadstoffabbauenden Eigenschaften wird fieberhaft betrieben. Bei der Photokatalyse werden Fassaden, Pflastersteine oder Dachziegel mit Nanopartikeln aus Titandioxid beschichtet, die in Kombination mit Sonnenlicht alle organischen Materialien auf der Oberfläche zersetzen und meist in CO2 und Wasser umwandeln.
Das bedeutet, dass auch umweltschädliche Stickstoffoxide zu unschädlichen Verbindungen abgebaut werden. So können photokatalytische Baustoffe – im größeren Maßstab angewendet – gravierend zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen, die Stickstoffoxidbelastung in verkehrsreichen Zonen verringern und Oberflächenverschmutzungen reduzieren. Mehrere Forschungsprojekte arbeiten derzeit daran, die Technologie vom Labor in die reale Anwendung im Städtebau zu bringen.
Stroh
Im buchstäblichen Sinne interessanter Nachwuchs unter den neuen, nachhaltigen Baumaterialien ist Stroh. In ganz Europa scheint der Siegeszug des Strohballenbaus unaufhaltsam. Mit gutem Grund: Stroh ist nachwachsend, fast überall lokal verfügbar und die Herstellung von Strohballen benötigt nur einen minimalen Primärenergieeinsatz. Für Wände beispielsweise wird Stroh zu weichen Holzplatten zusammengepresst, diese werden dann mit einem Bio-Brennstoff erhitzt. Die Platten sind nun ähnlich stabil wie Furniersperrholz und können für den Häuserbau benutzt werden. Stroh dämmt zudem Wärme und Schall und zusammen mit Kalk- und Lehmputz sorgt es für ein angenehmes Raumklima. Nicht nur Ein- und Zweifamilienhäuser, sondern auch mehrstöckige Bürogebäude, Kindergärten, Schulen und Industriehallen werden inzwischen mit Stroh gebaut.
Selbstheilender Beton
Risse im Beton verursachen jährlich Instandhaltungskosten in dreistelliger Millionenhöhe – man denke an die häufigen Autobahnsperrungen aufgrund von Schäden an Brücken oder Straßen. Der Mikrobiologe Henk Jonkers von der Universität Delft hat jetzt einen Bio-Beton erfunden, der sich selbst repariert – mithilfe von speziellen Bakterien, die dem Betongemisch beigefügt werden. Dort warten die kleinen Helfer bis zu 200 Jahre lang im Ruhezustand, bis durch winzige Risse Wasser eindringt. Erst dann wachen sie auf und verarbeiten das Kalziumlaktat zu Kalkstein, der die Risse wieder verschließt – so lange, bis sie nur noch maximal 0,8 mm breit sind. In diesem Video erklärt Jonkers selbst die Funktionsweise des von ihm entwickelten innovativen Baustoffes.
Die Erfindung von Henk Jonkers hält allen Laborprüfungen stand. Doch bis der selbstheilende Beton auf den Markt kommt, wird es noch etwa 5 bis 10 Jahre dauern. Erst muss der lückenlose Nachweis erbracht werden, dass der innovative Baustoff langfristig in der Praxis funktioniert.
Stampflehm
2015 überführte der Bau des neuen „Ricola Kräuterhauses“ eine der ältesten Bauweisen der Welt in die Ära des Systembaus und der Vorfertigung: den Stampflehmbau. Transsolar war im Vorfeld beauftragt worden, das Projekt vorab zu simulieren, um die Vorteile der Lehmbauweise sichtbar zu machen. Sie konnten belegen, dass die Klimaregulierung aufgrund des Lehms reduziert bzw. ganz weggelassen werden kann – ein Ergebnis, das erstaunte und begeisterte.
Ein Beitrag geteilt von Ricola (@ricola) am Jul 1, 2016 um 5:41 PDT
Gerade die bekanntesten Vertreter der Slow Architecture Francis Kéré, Martin Rauch und Armando Ruinelli versuchen, dem Stampflehmbau zu neuer Popularität zu verhelfen. „Eine Lowtech-Bauweise kann durchaus eine Hightech-Performance haben“, so Rauch. Aber trotz der renommierten Mentoren und erfolgreichen Praxisbeispiele gestaltet sich die Rückkehr des Naturbaustoffs in den Baukreislauf schwierig. Zu viele Bauherren verbinden ein solch „altes“ Material mit einer gewissen Rückständigkeit – selbst wenn es durch die Verbindung mit innovativen Technologien dem heutigen Anspruch an modernes Bauen voll und ganz entspricht.
Die Forschung und Entwicklung von nachhaltigen und innovativen Baustoffen läuft auf Hochtouren. Erfahren Sie auf unserem Blog mehr über die Bautrends der Zukunft und den erstmaligen Einsatz von innovativen Baustoffen in der Praxis – wie beispielsweise die ersten Bauwerke aus Infraleichtbeton.