Angesichts der drohenden Knappheit von Primärbaustoffen beschäftigen sich immer mehr Architekten mit der Wiederverwendung von Abfall für die Konstruktion von Neubauten. Zwei Projekte der modernen Recycling-Architektur stellen wir Ihnen in diesem Beitrag vor.
Autonome Earthships
Der US-amerikanische Architekt Michael Reynolds denkt bereits seit Anfang der 1970er Jahre darüber nach, wie er Abfall für ökologische und nachhaltige Gebäude einsetzen kann. Herausgekommen sind dabei die Earthships, vollkommen autonome Häuser, die er mittlerweile auf der ganzen Welt errichtet. Das neueste Projekt ist eine öffentliche Schule in Mar Chiquita, Argentinien (2018). In Biras, Frankreich entstand 2017 ein neues Wohngebäude.
Ein Haus aus Reifen
Grundlegendes Baumaterial seiner Recycling-Architektur sind Autoreifen, die mit gepresster Erde befüllt werdenund übereinander gestapelt die tragenden Wände der Häuser bilden. Allein in den USA landen pro Jahr 2,5 Milliarden Reifen auf dem Müll – Reynolds bezeichnet diese immensen Mengen als eine Art „natürliche Ressource“. Darüber hinaus verwendet er je nach Projekt Altholz, Altmetall, Lehm, Schlamm, Dosen oder Flaschen. Insbesondere letztgenannte verleihen den Wänden der Earthships ihr typisches Design.
Autarke Architektur
Die zweite Besonderheit der Earthships ist ihre Autonomie in jeglicher Hinsicht:
Eigene Stromproduktion aus Sonnen- und WindenergieRegenwasser wird aufgefangen, aufbereitet und bis zu viermal wiederverwertetHeizung und Lüftung über Wärmemasse und SonneObst- und Gemüseanbau im angegliederten GewächshausDas Heizungs- und Lüftungssystem funktioniert folgendermaßen: Drei dicke Wände aus Autoreifen dienen als Wärmemasse, die Südseite ist dagegen offen mit einer Fensterfront gestaltet. So dringt tagsüber Wärme nach innen, sammelt sich in den Wänden und wird während der kühlen Nachttemperaturen wieder abgegeben. Die Recycling-Häuser haben außerdem einen großen finanziellen Vorteil: Die jährlichen Unterhaltskosten einer amerikanischen Durchschnittsfamilie sinken in einem Earthship um mehr als 60 Prozent.
Ein Kaufhaus in einer Bibliothek
Seit 2009 steht in Magdeburg das „Lesezeichen Salbke“, benannt nach dem gleichnamigen Stadtteil. Diese Freiluftbibliothek ist ein Modellvorhaben im Rahmen des ExWoSt-Forschungsfelds „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“. Die architektonische Gestaltung spielte hier weniger eine Rolle, es ging eher um kulturelle Praktiken und eine aktive Beteiligung der Anwohner. Sie brachten auch den Wunsch vor, für diese Bibliothek recycelte Materialien einzusetzen.
Das Büro Karo Architekten aus Leipzig entwickelte daraufhin einen Entwurf für die Bibliothek: eine L-förmige Mauer mit holzverkleideten Sitznischen, in die Wände eingelassenen Bücherregalen sowie einer Grünfläche mit Bühne. Die Fassade ist mit Alu-Waben gestaltet, die aus einem abgerissenen Kaufhaus in Westfälisch Hamm stammen. Karo Architekten verstehen Recycling-Architektur nicht nur hinsichtlich der Wiederverwertung von Baumaterialien an sich, sondern sie wollen geschichtlich bedeutsamen Elementen neue Bezüge verleihen. In diesem Fall ist es ein Beispiel der Nachkriegsarchitektur, das den Weg in die Gegenwart findet.
Alternative Architektur – eine Chance für die Zukunft?
Bauabfälle sind ein Problem, das effektiver Lösungen bedarf, denn oftmals handelt es sich dabei um simple Ressourcenverschwendung. Hier hat vor allem Deutschland noch einiges aufzuholen. Die Schweiz etwa nutzt bereits seit vielen Jahren vorrangig RC-Beton, der über dieselben Eigenschaften verfügt wie „frischer“ Beton. Daneben gibt es weitere Ansätze der Recycling-Architektur, die sich positiv auf Umwelt und Kosten auswirken. Informieren Sie sich hier über das Potenzial von bautechnischen Innovationen wie „Cradle-to-Cradle“ oder Circular Economy.