Kreislaufwirtschaft praktizieren wir schon lange: seit 1996 per Gesetz. Was seinerzeit als Müllvermeidungsmaßnahme angefangen hat, könnte uns eine rosige Zukunft bescheren. Eine Studie zeigt, dass die Ausgaben für Mobilität, Wohnen und Lebensmittel in Deutschland bis 2030 um 25 Prozent sinken könnten und die Wirtschaft um 0,3 Prozentpunkte schneller wachsen könnte, sollte sich die “Circular Economy” als Wirtschaftsmodell durchsetzen.
Die Herausforderungen sind groß. Die Möglichkeiten, die Ökoeffizienz und Cradle-to-Cradle-Ansätze bieten, sind es ebenfalls – auch und vor allem in der Bauplanung.
Ronald Tilleman, www.kraaijvanger.nl/en/projects/94/city-hall-venlo//; Venlo City Hall, Kraaijvanger Architects
Vorreiter in der Abfallpolitik
Die Idee der „Circular Economy“ beschäftigt unsere Gesellschaft seit Anfang der 1990er Jahre. Mit dem kurz darauf erlassenen Kreislaufwirtschaftsgesetz wurde die Schonung der natürlichen Ressourcen und die Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen erstmals von oberster Stelle eingefordert. Der Hintergrund: Rohstoffe sollten möglichst abfall- und emissionsfrei so lange wie möglich zu nutzen sein. Es leitete ein Umdenken in der bundesdeutschen Abfallpolitik ein, schuf mit Quoten für mechanische, thermische und chemische Verwertung eine neue Industrie und machte „Recyclingtechnologie made in Germany“ zum Exportgut.
Von der Müllvermeidungsmaßnahme zum Wirtschaftsmodell
Recycling war die Lösung der Wahl in der Kreislaufwirtschaft der ersten Stunde. Die Circular Economy der jüngeren Vergangenheit denkt mittlerweile in kompletten Produktkreisläufen – und lässt gar nicht erst Müll im herkömmlichen Sinn entstehen, der entsorgt oder wiederverwertet werden müsste. Anstatt „von der Wiege bis zur Bahre“ werden Produkte „Cradle-to-Cradle“ (C2C) konzipiert. Die „Ökoeffektivität“, wie der Ansatz auch bezeichnet wird, birgt zusätzlich wirtschaftliche Aspekte. So definieren beispielsweise innovative Geschäftsmodelle das traditionelle Verständnis von „Kaufen“ und „Besitzen“ neu und stellen die reine Dienstleistung in den Fokus. Der Technologiekonzern Philips verkauft zum Beispiel seit 2015 anstelle von LED-Leuchten “Licht als Service”.
Ronald Tilleman, www.kraaijvanger.nl/en/projects/94/city-hall-venlo//; Venlo City Hall, Kraaijvanger Architects
Gebäude als Rohstofflieferanten
Diese Entwicklung setzt sich auch in der Baubranche immer mehr durch. Nachhaltige und ganzheitliche Konzepte haben in den letzten Jahren große Bedeutung gewonnen. Bauprodukte werden bewusst danach ausgewählt, woher sie stammen, woraus sie bestehen und ob sie umweltfreundlich entsorgt werden können. Circular Economy und C2C gehen aber noch weiter. Bei der Herstellung von Produkten soll von Beginn an bis an ihr Ende mitgedacht werden, insbesondere ihre Wiederverwertungsmöglichkeiten – sogar wenn es sich um ganze Gebäude handelt. Abfall oder Bauschutt beim Abriss soll es nicht mehr geben. Hat ein Haus das Ende seines Lebenszyklus erreicht, bleiben im Idealfall reine Wertstoffe. Bestandsgebäude sind somit die Rohstofflieferanten der Zukunft.
Herausforderung und Chance
Die Herausforderungen der Circular Economy beim Bau sind groß, genauso wie die Möglichkeiten. Bereits jetzt haben Hersteller von Verbundbaustoffen ihre industrielle Fertigung so umgestellt, dass die Einzelkomponenten – zum Beispiel von Fassaden – sortenrein getrennt werden können. So finden alle Baustoffe als Sekundärrohstoffe wieder Verwendung. Nachhaltige Bauprojekte wie das Rathaus der Stadt Venlo zeigen, was möglich ist: Begrünungen an Fassaden und auf Dächern reinigen die Luft. Regenwasser kann aufgefangen, gefiltert und in Flüsse eingeleitet werden, Grauwasser aus Waschbecken ist wiederverwertbar. Unterirdisch angelegte Parkhäuser dienen als Kühlkörper und regeln das Raumklima in einem Gebäude. Mit Photovoltaik und Geothermie lässt sich saubere Energie frei Haus generieren.
Interessante Fragen für Bauverantwortliche
Gibt es Energiekonzepte, die Häuser zusätzliche Energie produzieren lassen, anstatt nur zu verbrauchen? Kann man die Materialkreisläufe eines Gebäudes so zusammenführen, dass das, was an einer Stelle als Abfall anfällt, an einer anderen als Rohstoff verwendet wird? Funktioniert das auch für ein ganzes Wohnviertel – mit Küchenabfällen aus der Eckkneipe als Dünger für die Gemeinschaftsgrünflächen? Es gibt viele interessante Fragen, die auf Beantwortung warten. Durch Planer, Architekten, andere Bauverantwortliche – und innovative Konzepte für eine Circular Economy, in der der Kreis irgendwann wirklich komplett geschlossen ist.