Seit Februar 2018 hat das Forschungsgebäude NEST im schweizerischen Dübendorf ein neues experimentelles Wohnmodul, das UMAR. Die Wissenschaftler wollen damit zeigen, dass sich ein ökologischer Umgang mit Baustoffen und architektonische Ästhetik nicht ausschließen. Angesichts zurückgehender Ressourcen und einer steigenden Weltbevölkerung gewinnt die „Circular Economy“ zunehmend an Bedeutung. In Deutschland trifft das Thema Recycling, insbesondere in der Bauindustrie, immer noch auf Zurückhaltung. In diesem Beitrag stellen wir Ihnen vier Projekte der modernen Recycling-Architektur vor und erläutern, wo die Vorteile von Recyclingbaustoffen liegen.
Urban Mining & Recycling in der Schweiz
Das NEST der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in Dübendorf bietet eine Innovationsplattform, auf der Wissenschaftler aus dem Bau- und Energiebereich neue Technologien und Produkte unter realen Bedingungen testen. Ihr neuestes Projekt ist das UMAR, das Wohnmodul für Urban Mining & Recycling (UMAR). Die Architekten Werner Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel verfolgen mit dieser internationalen und interdisziplinären Kooperation das Ziel, einen vollständig geschlossenen Materialkreislauf zur Herstellung von Gebäuden zu erproben und zu analysieren.
Alle Komponenten des Moduls bestehen aus vollständig wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Materialien. Konkret heißt das: Die Primärstruktur des Gebäudeteils ist aus unbehandeltem Holz konstruiert. Die Glaskeramik-Arbeitsplatte in der Küche wurde aus 100 Prozent Glasabfällen hergestellt. Und für die interne Verkleidung verwendeten die Architekten Myzelium, ein wurzelförmiges Pilz-Geflecht. Damit sich alle Baustoffe recyceln lassen, sind die Komponenten lediglich ineinander gesteckt, miteinander verschraubt oder verschränkt. Derzeit bewohnen zwei Studenten den Prototyp, sie geben regelmäßig Rückmeldung zu ihren Erfahrungen.
Recycling-Architektur in den USA
Auf private Initiative hin designte Les Eerkes von Eerkes Architects im Bundesstaat Washington das Atelierhaus Scavenger Studio.* Die Eigentümerin Anna Hoover, eine Künstlerin, stellte den Planern die Aufgabe, möglichst viel frei zugängliches Material einzusetzen. So stammen verschiedene Holzelemente im Haus, wie beispielsweise die Schränke, aus Abrissbauten.
Die Fassadenverkleidung besteht aus Sperrholzplatten, welche die Künstlerin mit einer alten japanischen Konservierungstechnik für Holz selbst bearbeitet hat. Dabei wird das Holz leicht verbrannt, wodurch es weniger anfällig für Wettereinflüsse und Insekten ist. Durch die braune Holzfarbe gliedert sich das Gebäude gut in die waldreiche Umgebung ein.
Es steht auf einem einfachen sechsfüßigen Fundament, was die Baukosten des Projektes niedrig hielt. Auch dieses Gebäude ist ein tolles Beispiel dafür, wie eine „Circular Economy“ in der Baubranche funktionieren kann.
PET-Flaschen als Recyclingbaustoffe
Bereits im Jahr 2011 begann die Nichtregierungsorganisation DARE in Nigeria, Häuser aus PET-Flaschen zu bauen. In diesem Land werden täglich drei Millionen dieser Plastikflaschen weggeworfen. Zugleich fehlen über 16 Millionen Wohnungen. Mit ihrem Projekt wollten sie beide Probleme auf einmal lösen. Dafür füllten sie in Kooperation mit den Dorfbewohnern tausende Flaschen mit Sand, schraubten sie zu und schichteten sie anschließend übereinander.
Als verbindende Elemente nutzten sie Lehm und Zement sowie ein Netz aus Schnüren um den Flaschenhals. Die Wände der Wohngebäude erhalten durch die sichtbaren Schraubdeckel ein außergewöhnliches Design. Zudem sind PET-Flaschen ein stark isolierender Recyclingbaustoff: Trotz tropischen Klimas herrscht im Inneren eine konstante Raumtemperatur von 18 Grad Celsius.
Quelle: www.youtube.com/watch
Ein ganzes Dorf aus Plastik
Den isolierenden Vorteil von PET-Flaschen nutzt auch der Unternehmer Robert Bezeau für sein Öko-Dorf mitten im Dschungel von Panama. Es soll komplett aus Plastikflaschen errichtet werden. Für jedes der etwa 90 bis 120 Häuser sind etwa 10.000 bis 25.000 Flaschen notwendig. Dies entspricht in etwa dem Verbrauch eines Menschen innerhalb eines Lebens.
Anders als in Nigeria verwendet Bezeau für sein Projekt leere PET-Flaschen, die dicht übereinander in einem Stahlkäfig positioniert werden. Zuletzt deckt eine Betonschicht das Untergerüst ab. Diese Baumethode ist sehr kosten- und zeiteffektiv, zudem energiesparend: Dank der konstanten Raumtemperatur ist keine Klimaanlage notwendig.
Weniger Material für mehr Menschen
Die Herausforderungen der Architektur in der heutigen Zeit verlangen nach konkreten Lösungen: Um mit immer weniger Material für immer mehr Menschen zu bauen, sind Recyclingbaustoffe eine ökologische und nachhaltige Alternative. Beispielsweise ist sogenannter RC-Beton, ein Beton mit einem Anteil Recyclinggranulat, eine vollwertige Alternative zum Primärbeton. Er lässt sich insbesondere im Hochbau einsetzen. Welche weiteren Baustoffe sich für die Recycling-Architektur eignen, erfahren Sie in unserem Beitrag „Recycling: Bauen mit Abfall“.
*Das Projekt wurde fertiggestellt, während Eerkes als Design Principal bei Olsen Kundig tätig war. Olsen Kundig ist demnach der verantwortlich zeichnende Architekt.