Alles strebt in die Städte. Bis 2050 werden laut Schätzungen der UN etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in urbanen Regionen wohnen. Doch wohin noch, wenn der Platz in diesen zwangsläufig schwindet? Der Himmel scheint der einzige Ausweg. Nur hat diese logische Konsequenz zwei sehr gegensätzliche Gesichter. Auf der einen Seite steht der Traum von vertikalen Städten, in denen sich das komplette Stadtleben auf umweltfreundliche, ressourceneffiziente und sozialverträgliche Weise komprimiert. Auf der anderen die Realität der Exklusivität „himmlischer“ Räume aufgrund ihrer Unbezahlbarkeit für Normalverdienende oder der unattraktiven Monotonie für die Massen.
Vertikale Verdichtung ist keine neuartige Idee, sondern seit langem eine weit verbreitete Lösung für die erhöhte Nachfrage nach Raum in Großstädten. Viele Metropolen der Welt lassen sich problemlos aus der Ferne anhand ihrer Skyline identifizieren. Die himmelsstürmenden Gebäude häufen sich dabei vor allem in den Zentren. Das Problematische an dieser Form der Verdichtung ist, dass hier nicht etwa Wohnraum für Menschen entsteht, die diesen dringend benötigten. Vielmehr wird ausgerechnet dort, wo der Quadratmeter ohnehin schon am teuersten ist, Raum geschaffen, der mit steigender Höhe immer teurer wird und sich somit nur noch für diejenigen eignet, die rein finanziell überall wohnen könnten.
Vertikalisierung und Verteuerung
Bestes Beispiel hierfür ist New York. Hier wird seit Jahren rund um den Central Park mit allen Mitteln um jeden Höhenmeter gekämpft, da mit der baulichen Höhe auch die Rendite wächst. Die sogenannten Zoning Laws, welche eigentlich ein bestimmtes Verhältnis zwischen Grundstücks- und Bruttogrundfläche festlegen, werden umgangen, indem man besonders schlank baut und die Höhenmeter niedrig bebauter Nachbargrundstücke kauft. So wird potentiell günstigerer, weil niedrigerer Wohnraum durch Vertikalisierung zunehmend in unbezahlbaren umgewandelt. Doch das Phänomen der Preissteigerung durch Höhe beschränkt sich mitnichten auf New York. Der Grand Tower in Frankfurt etwa wird als höchstes Wohngebäude Deutschlands auch die teuersten Wohnungen des Landes beherbergen.
Vertikalisierung und Verarmung
Die Vertikale kennt allerdings auch ärmere Bewohner. In ostasiatischen Metropolen wie Tokio, Peking, Bangkok, Singapur und vielen anderen werden im Schnelldurchlauf ganze Viertel, die über Jahrhunderte gewachsen sind, durch uniforme, unattraktive Geschosswohnungsbauten ersetzt. Sobald Familien ein größeres Einkommen haben, zieht es sie jedoch in Einfamilienhäuser in den Vorstädten. Die Folgen sind eine Verarmung der Stadtbevölkerung und Zersiedelung. Das niederländische Architekturbüro MVRDV nahm sich in einer Wanderausstellung namens „Vertical Village“ dieses Problems an. Die Architekten riefen hiermit zur Entwicklung neuer Modelle auf, die eine Art vertikalen Kiez vorsehen – mit demographischer Vielfalt, Mischnutzung, individuellen Wohnräumen etc.
Utopisch? – Vertikale Städte
Mit solch visionären Ideen für eine Verbesserung der Städte durch eine kluge vertikale Verdichtung steht MVRDV nicht allein. 2012 wurde etwa von den beiden chinesisch-stämmigen New Yorker Architekten Kenneth King und Kellogg Wong ein Buch namens „Vertical City: A Solution For Sustainable Living“ herausgegeben, in welchem sich 30 renommierte Architekten weltweit mit der Idee einer vertikalen Stadt befassten. Das Werk und nunmehr auch die damit verbundene Website verticalcity.org propagieren ein Konglomerat aus miteinander verbundenen umweltfreundlichen und selbstversorgenden Megatürmen, welche Hunderttausenden von Menschen ein würdevolles Leben bieten sollen.
Eine solche Stadt in der Stadt müsste erneuerbare Energie und auch möglichst viele Nahrungsmittel – etwa in Form von Aquaponik und Fischteichen – lokal produzieren. Durch die extreme Verdichtung würden allerdings gleichzeitig Böden geschont und für Landwirtschaft gesichert. Da Leben und Arbeit, Produktion und Konsum auf die Himmelsstadt selbst konzentriert wären, würden erhebliche Mengen an Energie, die sonst für lange Transport- und Pendlerwege gebraucht würden, eingespart. Eine reiche Vegetation diente der Luftfilterung sowie dem Speichern von CO2.
Cloud Citizen
Wie eine solche Vertical City aussehen könnte, zeigten Urban Future Design und CR-Design 2014 mit dem Siegerentwurf im Wettbewerb um den „Shenzhen Bay Super City Masterplan“. „Cloud Citizens“, so der Name, würde demnach Wohnungen, Büros, Parks und kulturelle Einrichtungen beherbergen und hätte die Fähigkeit, Regenwasser zu nutzen, Nahrung zu produzieren und Energie aus Sonne, Wind und Biomasse (Algen) zu erzeugen. All das in drei gewaltigen, bis zu 680 Meter hohen Türmen, die über Himmelsbrücken miteinander verbunden sind.
An Ideen für eine sinnvolle, sozial verträgliche und nachhaltige vertikale Verdichtung mangelt es also nicht. Und da wohl am Bauen nach oben auf lange Sicht kein Weg vorbeiführen wird, kann man nur hoffen, dass auch diese, neben den weniger durchdachten, realisiert werden.