Beton wird normalerweise nicht unbedingt mit ökologischem Bauen assoziiert, ist doch seine Herstellung sehr energieaufwendig und mit dem Verbrauch endlicher Ressourcen verbunden. Forschern der Plattform „BAU KUNST ERFINDEN“ der Uni Kassel ist es jedoch gelungen, einen speziellen Beton herzustellen, der in seiner Energiebilanz so manchen Ökobaustoff leicht in die Tasche stecken könnte. Der Grund: das Material erzeugt selbst Strom aus Sonnenenergie.
Es klingt ein Bisschen wie ein Unfall, aber im Grunde genommen handelt es sich bei DysCrete™ um eine Art Verbundstoff aus Beton und „Fruchtsaft“. Der Name weist dabei auf diese beiden Hauptkomponenten hin: DYSC steht für den englischen Begriff dye-sensitized solar cell, im Deutschen auch als Grätzel- oder Farbstoffsolarzelle bekannt. Diese speziellen Solarzellen verwenden im Gegensatz zu den sonst üblichen Modulen auf Halbleiterbasis Farbstoffe, die, verkürzt gesagt, Photosynthese betreiben, also auf elektrochemischem Weg aus Sonnenlicht Strom erzeugen. Der zweite Teil der Wortschöpfung, „Crete“, steht ganz einfach für Beton (englisch concrete).
„Saft“ aus Saft
Die Technologie der Farbstoffsolarzelle gibt es erst seit Anfang der 1990er Jahre und ist damit noch vergleichsweise jung, weshalb die Anwendung auf verschiedene Baustoffe noch weitgehend unerforscht ist. Bislang lag hier das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung von durchsichtigen Glasmodulen. Die Kasseler Forscher um Professorin Heike Klussmann fanden jedoch heraus, dass sich Beton chemisch und physikalisch sowie aufgrund seiner Material- und Fertigungslogiken sehr gut mit den stromerzeugenden „Fruchtsäften“ vereinbaren lässt. Die elektrische Leitfähigkeit des mineralischen Baustoffs wird mittels einer Beimischung von Graphit hergestellt. Insgesamt besteht DysCrete aus mehreren Funktionsschichten, die in ihrer Gesamtheit eine Redoxreaktionsschicht bilden.
Erneuerbare Zellen für erneuerbare Energie
Das größte Problem der Technologie liegt derzeit noch in ihrer Langzeitstabilität. Doch auch hierfür hat das Forscherteam bereits eine Lösung parat. Die Applikation der Zellen ist als Schichterneuerungsverfahren konzipiert, wobei ein Schichtgruppensystem mit einer erneuerbaren Sandwichstruktur und variablem Zellenaufbau im Sprühverfahren auf den Beton aufgetragen wird. Die Erneuerung der stromerzeugenden Schichten erfolgt in zeitlichen Intervallen, die den Renovierungszyklen von Fassadenanstrichen entsprechen. Mit dem PLOTBOT/CRAWLER hat das Team von BAU KUNST ERFINDEN zusätzlich einen Roboter entwickelt, der sich um diese Arbeit kümmert.
Nachhaltigkeitspotenziale
Das Schichterneuerungsverfahren hat den großen Vorteil, dass beim Ausfall einer Komponente nicht gleich die gesamte Zelle nutzlos wird. Doch auch andere Eigenschaften tragen zur Nachhaltigkeit des neuen Baustoffs bei. Die Herstellung ist günstig und umweltfreundlich. Alle Bestandteile sind frei erhältlich und die Herstellung erfolgt ohne giftige Emissionen. Ein herausragender Aspekt des farbstoffsensitivierten Betons ist zudem die Fähigkeit, selbst diffuses Licht an der Grenze zur Sichtbarkeit in Strom umzuwandeln. Dadurch lässt sich der Baustoff nahezu uneingeschränkt nutzen und die Vielseitigkeit von Beton voll ausschöpfen. Das größte Potenzial sehen die Forscher in der Herstellung von Betonfertigteilen im Hochbau, neuen Fassaden sowie Wand- und Bodensystemen für innen und außen.
Ausbaufähig
Der Wirkungsgrad des Solarbetons ist derzeit mit zwei Prozent noch recht gering. Ein Quadratmeter erzeugt unter optimalen Bedingungen eine Leistung von etwa 20 Watt. Es ist allerdings zu erwarten, dass mit anhaltender Forschung die Effizienz gesteigert werden wird, wie es generell in der Energieerzeugung mit Sonnenlicht zu beobachten ist. Und selbst ein Beton, der wenig Energie erzeugt, ist schließlich immer noch besser als einer, der gar keine produziert. In etwa drei Jahren könnte DysCrete zur industriellen Fertigung bereit sein.