Holz ist ein wunderbar vielseitiger und potentiell nachhaltiger Baustoff, der aus gutem Grund inzwischen auch vermehrt für den Geschosswohnungsbau entdeckt wird. Was den hölzernen Bau in großen Höhen jedoch nach wie vor bremst, sind hauptsächlich die Brandschutzbestimmungen. So müssen zum Beispiel in Deutschland Holzbauten ab einer bestimmten Höhe über Fluchtwege aus nicht brennbarem Material wie Beton verfügen. In Österreich sind die Bestimmungen ähnlich, und so wird auch das bald höchste Holzhaus der Welt, das HoHo in Wien, über einen Betonkern verfügen. Über all dies berichteten wir zuvor auf unserem Blog. Nun schickt sich eine Kleinstadt in Norwegen an, dem HoHo diesen Rang abzulaufen.
„Mjøstårnet“ (Mjøsa-Turm) heißt das Projekt, das derzeit im norwegischen Brumunddal entsteht und für den Ort das werden soll, was der Eiffelturm für Paris ist. Während allerdings Paris gewiss auch ohne den Eiffelturm in der ganzen Welt bekannt wäre, dürfte Brumunddal für viele wahrscheinlich erst durch Mjøstårnet zum Begriff werden. Immerhin soll das 18-geschossige Mischgebäude eine Höhe von 81 Metern erreichen – und damit das höchste Holzhaus der Welt werden.
Wirklich das Höchste?
Moment, da war doch was ... Richtig: Etwa zur gleichen Zeit entsteht auch das HoHo in Wien mit 84 Metern Höhe. Wäre nicht eigentlich dieses dann das welthöchste Holzhaus? Wenn es nach den Machern von Mjøstårnet ginge, jedenfalls nicht. Denn streng genommen wird das HoHo kein reines Holzhaus, sondern ein Hybridbau mit beträchtlichem Betonanteil (25 Prozent) sein. Tatsächlich befasst sich derzeit ein Lenkungsausschuss des CTBUH (Council On Tall Buildings And Urban Habitats) mit der Frage, was man genau als Holzbau bezeichnen darf. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der demnächst definierte Standard im Sinne von Mjøstårnet ausfallen.
Holzspezialisten aus dem hohen Norden
Doch Weltrekord hin oder her: Viel interessanter ist eigentlich die Frage, warum man in Norwegen, anders als in Österreich, ganz ohne Beton auskommt. Nimmt man es etwa im hohen Norden mit dem Brandschutz nicht so genau? Eher unwahrscheinlich. Vielmehr vertrauen die Norweger auf ihre Expertise im Bau großer Holzstrukturen und auf das Holz selbst. So kennt sich etwa der am Bau von Mjøstårnet beteiligte Holzhersteller Moelven bereits bestens mit extremem Holzhochbau aus, lieferte er doch schon die Bauteile für „The Tree“ (auch „Treet“ genannt) in Bergen, welches mit seinen 49 Metern bis dato das höchste reine Holzhaus darstellt.
Wie bei The Tree wird Moelven auch für Mjøstårnet die verschiedenen Bauteile liefern und montieren. Das Tragwerk des Skelettbaus wird dabei aus Brettschichtholz bestehen, welches bis zu 80 Prozent tragfähiger als Vollholz ist. Doch nicht nur das. Die mächtigen Stützen und Balken besitzen obendrein bessere Brandschutzqualitäten als etwa tragende Teile aus Stahlbeton. Denn während der Stahl bei hohen Temperaturen schmelzen und seine Tragfähigkeit einbüßen würde, verbrennt beim Holz zunächst nur die obere Schicht, die den Rest des Holzes anschließend wiederum lange vor weiterem Verbrennen schützt. Sind die tragenden Teile also wie bei Mjøstårnet dick genug, bleibt die Tragfähigkeit selbst nach einem zweistündigen Brand erhalten.
Alles Holz oder was?
Die Böden und Decken werden ebenfalls aus Brettschichtholz sowie aus robustem kreuzverleimtem (Kerto-Q-) Furnierschichtholz hergestellt. Aufzug- und Treppenschächte sollen aus Brettsperrholz bestehen. Ganz ohne Beton kommt aber auch dieser Holzbau nicht aus, denn die oberen sieben Stockwerke werden mittels Beton beschwert, damit der Turm nicht allzu sehr schwingt und ein besserer Schallschutz in den darin befindlichen Wohnungen gewährleistet wird. Moelven sowie Bauträger HENT und das verantwortliche Architekturbüro Voll Arkitekter setzen allerdings darauf, dass Mjøstårnet dennoch als höchstes Holzhaus betrachtet wird, da alle tragenden Teile aus Holz bestehen.
Mehr als Prestige
Gewiss ist der Titel des höchsten Holzhauses für dessen Träger prestigeträchtig. Sehr viel mehr kommt jedoch dem Rest der Welt das Rennen um diese Ehre zugute. Ambitionierte „Woodscraper“-Projekte wie Mjøstårnet oder das HoHo liefern wichtige Erkenntnisse über die Potenziale des Holzbaus im Kontext extremer Dichte – auch wenn in Brumunddal kaum von einem urbanen Umfeld die Rede sein kann. Gekoppelt an eine nachhaltige Forstwirtschaft, könnte ein solcher Holzbau einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Urbanisierung leisten.
Die Grenzen des hölzernen Hochhausbaus scheinen dabei noch lange nicht erreicht. Längst gibt es eine Reihe von Entwürfen für weitaus ambitioniertere Projekte wie den Oakwood Timber Tower, das „Baobab“ oder den W350. So wird der Titel „höchstes Holzhaus“ – ganz egal, wer ihn einfährt – wie immer nur für eine Weile ein und demselben Gebäude zufallen.