Über (the) Vessel in New York schieden sich bereits vor seinem Bau die Geister. Auch seit der Fertigstellung hat sich daran eigentlich nichts geändert.
Ende 2016 berichteten wir über ein ziemlich eigenwilliges Projekt in New York, das damals, schon lange vor seinem Bau, für Aufsehen sorgte: Vessel – in Deutschland gerne auch mit „the“ davor. Der Entwurf von Heatherwick Studio für das seinerzeit künftige Wahrzeichen und Herz des neuen Viertels Hudson Yards vereinte so manch kuriose Idee und bot einiges an Gesprächsstoff. Letzterer wurde auch nach Fertigstellung des Bauwerks nicht weniger. Im Gegenteil.
Treppenhaus, in der Tat
New Yorks Antwort auf den Eiffelturm, Bienenstock, Basketballkorb, Spielplatz, Vase oder gar Riesendöner – all das sind mal nett, mal böse gemeinte Zuschreibungen und Vergleiche, die Vessel über sich ergehen lassen muss, und beileibe nicht die einzigen. Dabei ist es eigentlich vor allem doch eines: ein gigantisches „Treppenhaus“. Vessel besteht aus 154 Treppen, fast 2.500 Stufen und 80 Treppenabsätzen, die als Aussichtsplattformen dienen. Das war’s. Die Inspiration dazu stammt von historischen indischen Stufenbrunnen. Wer sämtliche Treppen abläuft, hat über 1,6 Kilometer hinter sich gebracht, darunter, da schließlich die gesamte Höhe von 46 Metern mehrfach erklommen wird, auch jede Menge Höhenmeter.
Kontroversen: Bilder und Behinderungen
Neben einer sehr gemischten Rezeption ihrer reinen Architektur von gelungen bis grässlich, war die neue Landmarke seit ihrer Eröffnung im März 2019 auch Gegenstand einiger anderer Kontroversen. So mussten Besucher etwa zunächst Nutzungsbedingungen zustimmen, denen zufolge sämtliches geschossenes Bild- und Filmmaterial Related – dem Eigentümer von Vessel und Hudson Yards – gehörte und von diesem frei genutzt werden könnte. Da bei der Entwicklung des Viertels auch rund viereinhalb Milliarden Dollar an Steuergeldern investiert wurden, sorgte diese dreiste Praxis für große öffentliche Empörung, die wiederum eine Streichung der Klausel nach sich zog.
Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der mangelhaften Zugänglichkeit für gehbehinderte Menschen. Nur ein einziger Aufzug befährt Vessel und lässt dabei obendrein gerne mal die Plattformen der fünften und siebten Ebene wegen Überfüllung aus. Zudem bleibt all jenen, die keine Treppen steigen können, auch nur ein – im wahrsten Sinne – einseitiger Ausblick. Da all das gegen US-amerikanisches Recht (Disabilities Act) verstößt, legte das Justizministerium bereits kurz nach Eröffnung Beschwerde ein. Mittlerweile hat sich Related mit der US-Staatsanwaltschaft geeinigt, diverse Maßnahmen zur besseren Inklusion von Gehbehinderten umzusetzen. Teil davon soll auch ein einzigartiges Aufzugsystem sein, das einen 360-Grad-Zugang schafft. Vielleicht ein Job für thyssenkrupp?
Vessel forever?
Der Name Vessel ist übrigens eigentlich nur provisorisch. Betrachtet man jedoch die unerschöpflichen Assoziationen, mit denen sich dieses „Gefäß“ füllen lässt, passt er eigentlich perfekt. Kaum ein Bauwerk hat je so sehr die Fantasie angeregt. Bei aller Kritik ist dies durchaus eine Leistung, die man anerkennen muss. Und vielleicht wird Vessel ja irgendwann doch noch so etwas wie New Yorks Eiffelturm. Letzterer war schließlich anfangs auch nicht nur beliebt. Ein Problem gäbe es da allerdings vielleicht: Während der Eiffelturm die Skyline von Paris beherrscht, findet „Klein-Vessel“ in der von New York gar nicht erst statt.