Peter Haimerl Architektur und die WOGENO München setzen in der Messestadt Riem ein Statement gegen den rechten Winkel und die verschwenderische Konsumgesellschaft.
Der rechte Winkel ist in unserer gebauten Wirklichkeit klar die bestimmende Form. Das gilt für das Gros aller Grundrisse, vor allem aber für das Verhältnis von Böden zu Wänden, und überträgt sich letztlich auf das Design aller möglichen Alltagsgegenstände. Egal ob Schränke, Regale, Tische, Betten, Bücher, Bilderrahmen, Bildschirme, Fernseher, Smartphones, Tablets oder Laptops – die 90-Grad-Dominanz ist allgegenwärtig. Kein Wunder, schließlich passen rechtwinklige Dinge rein formal einfach immer in orthogonale Räume. In München hält jedoch neuerdings ein Wohnhaus mit sechseckigen Aufrissen dagegen. Das bringt gewisse Konflikte mit sich, aber auch die Chance auf ein Wohnen ohne Kram.
Bienenstock zum Vorbild
Das Wabenhaus ist als Projekt der Wohnungsgenossenschaft WOGENO München in der Messestadt Riem angesiedelt. Entworfen wurde es von Peter Haimerl Architektur nach dem Vorbild von Bienenwaben. So scheint es jedenfalls: Die Räume sind als sechseckige Betonröhren dergestalt angeordnet, dass sie unweigerlich an einen Bienenstock gemahnen. Aus dieser Anordnung ergeben sich insgesamt acht Halb- beziehungsweise viereinhalb Vollgeschosse. Neben insgesamt 22 Wohneinheiten (einschließlich einem Gästeappartement) sind ein Quartiersladen, eine Fahrradwerkstatt, ein Toberaum sowie eine Dachterrasse in dem Objekt untergebracht. Eine Besonderheit bildet zudem eine Wohngemeinschaft mit Gemeinschaftsküche und -wohnzimmer.
Schrägen öffnen den Raum
Die Ein- bis Vierzimmerwohnungen variieren in Größen zwischen 22 und 106 Quadratmetern. Hinzu zur nominellen Wohnfläche kommen die Schrägen, die das neue Wohnen in Waben prägen. Für Architekt Peter Haimerl besteht genau darin der Gewinn: Statt der üblichen Begrenzung durch senkrechte Wände, öffnet sich hier der Raum. Allerdings bedeutet dieser Raumgewinn auch gleichzeitig einen Verlust an Stellfläche. Normale Schränke und Regale lassen sich nicht stellen, ohne das besondere Raumgefühl zu zerstören. Um die Schrägen optimal zu nutzen, bedarf es daher spezieller Einbaumöbel. Eine Auswahl solcher wurde eigens durch das Architekturbüro entworfen. Dazu zählen etwa ausklappbare Einbaubetten mit schwebender Schlafposition.
Statement gegen Konsumgesellschaft
Der materiell-individuelle Gestaltungsspielraum ist also stark eingeschränkt. Wer das sensible Raumgefüge nicht stören will, muss sich zurücknehmen. Peter Haimerl betrachtet dies als Chance für die Bewohner:innen, sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, was sie wirklich brauchen. Damit ist das Wabenhaus nicht nur ein formales Statement gegen den rechten Winkel, sondern quasi auch ein sozialkritisch minimalistisches gegen eine verschwenderische Konsumgesellschaft.