Sie sind groß, sie sind grün, sie sind – eine Inspiration: Bäume. Manche Paläoanthropologen gehen davon aus, dass der Mensch, ähnlich den großen Affen, lange auf Bäumen gelebt hat, bevor er anfing, sich auf andere Art eine schützende Bleibe einzurichten. Vielleicht ist dies auch einer der Gründe, weshalb wir immer wieder die Nähe zu ihnen suchen. Nicht zuletzt sind aber auch Luftqualität und Klima rund um die großen Gewächse erwiesenermaßen besser. Wenn gebaut wird, müssen die grünen Freunde zwar nicht selten weichen. Es gibt allerdings auch architektonische Entwürfe, die Bäume integrieren oder sie gar zu ihrem Leitthema machen.
Bereits in der Antike wurden Bäume als Thema im Bau aufgegriffen. So heißt es etwa, die Säulen des Parthenons in der Akropolis seien einem Hain nachempfunden. In der modernen Architektur stellt möglicherweise Le Corbusiers Maison Curutchet von 1949 einen der ersten Entwürfe dar, die einen lebendigen Baum in Architektur integrieren. Dieses Konzept wurde vielfach wiederholt, doch sind die architektonischen Ideen rund um Bäume damit alles andere als erschöpft. Viele der zeitgenössischen Baumhausvisionen erscheinen als geeigneter Stoff für Fantasy und Science-Fiction. Und manche werden nichtsdestotrotz auch gebaut.
Stählernes Herz für Bäume: „Tribute: The Monument of Giant”
Die in der Sierra Nevada beheimateten Riesenmammutbäume gehören zu den größten, imposantesten und ältesten Gewächsen der Erde. 2017 sorgte bei der eVolution skyscraper competition eine Einreichung für Aufsehen, welche das Ziel verfolgte, diese massereichsten Bäume auf spektakuläre Weise zu erhalten. Die südkoreanischen Architekten Ko Jinhyeuk, Cheong Changwon, Cho Kyuhung und Choi Sunwoong schlugen dabei vor, das verrottende Innere mit einer künstlichen Stütze in Form eines Stahltragwerks aufzufüllen. Diese „Türme“ innerhalb der bis zu 95 Meter hohen Baumriesen könnten verhindern, dass die Bäume aufgrund zunehmend schlechter Umweltbedingungen umstürzen und sterben. Der Mensch würde so, statt ihr Zerstörer, eine Unterstützung der Natur.
Für Waldliebhaber: Aibek Almassovs Treehouse
Nicht in, sondern auf außergewöhnliche Weise um einen Baum herum würde der kasachische Architekt Aibek Almassov ein Baumhaus im Wald von Almaty bauen. Das Neue daran: Die Außenhülle des Hauses ist dem Konzept nach ein gigantischer Glaszylinder. Die vier Geschosse inklusive Bad im Erdgeschoss sind dementsprechend exponiert. Dafür hätten die Bewohner eine Nähe zum umliegenden Wald, wie man sie sonst nur unter freiem Himmel erlebt. Damit es energieautark ist, soll das Dach mit transparenten Solarzellen versehen werden. Was auch einem Fantasy-Roman entsprungen sein könnte, wird womöglich bald schon realisiert. 2016 stand das Architekturbüro zumindest in Verhandlungen mit zwei potentiellen Investoren.
Vertikaler Park: BIGs und Carlo Rattis neuer Turm für Capitaland
Der spektakulärste Entwurf in unserer Auswahl ist gleichzeitig derjenige, der bereits definitiv gebaut wird. Mit einem 280 Meter hohen Wolkenkratzer, entworfen von BIG und Carlo Ratti design, geht die Stadt Singapur einmal mehr in Richtung vertikale Stadt. Das gigantische Mischgebäude im Finanzdistrikt des Stadtstaats wird nur so von Gärten durchzogen sein. An mehreren Stellen öffnet sich die Stahl- und Glasfassade gardinenartig und lässt eine üppige Vegetation blicken. Der botanische Höhepunkt ist dabei ein viergeschossiger Park etwas unterhalb der Gebäudemitte. Die Fertigstellung ist für 2021 geplant. Manch einer wird dann seine Wohnung, seinen Arbeitsplatz und womöglich sein bevorzugtes Naherholungsgebiet in ein und demselben Gebäude haben.
Mehr (T)Räume um Bäume
Wie die Beispiele zeigen, ist der Wunsch nach Baumnähe auch nach Tausenden von Jahren noch ebenso ungebrochen, wie bauliche Baumfantasien unbegrenzt sind. Mit neuen Technologien wie dem algorithmischen Entwerfen oder immer leistungsfähigeren Baustoffen wird die Realisierung solcher (T)Räume um Bäume immer weniger unmöglich. Vielleicht wird es da ja sogar immer möglicher, dass die grünen Freunde beim Bau eben nicht mehr weichen müssen.