Unter der textilen Architektur wurden lange Zeit Bauten aus klassischen Naturstoffen verstanden, beispielsweise Zelte. Heute hingegen nutzt die Textilienarchitektur technologisch hocherprobte Materialien. Lernen Sie drei aktuelle, kreative Architekturprojekte mit innovativen Baustoffen kennen.
Tubaloon, Norwegen
Jedes Jahr im Sommer findet das Kongsberg Jazz Festival statt. Dann wird die Membranskulptur „Tubaloon“ ausgepackt und innerhalb von drei Wochen im historischen Zentrum im norwegischen Kongsberg aufgebaut. Seit 2006 bildet die Installation die Hauptbühne des renommierten Musikfestivals. Entwickelt wurde Tubaloon von dem amerikanisch-norwegischen Architekturbüro Snøhetta1. Die Bühne besteht aus einer PVC-Gewebekonstruktion, die wie eine Haut über den statischen Bau gespannt wird. Trotz einer Höhe von 20 Metern und einer Länge von 40 Metern wirkt die temporäre Installation aus weißem Membrangewebe leicht. Diese Wirkung wird durch die sichtbaren Halteseile, die Tubaloon offensichtlich am Boden zu halten scheinen, verstärkt.
Die Bühne nimmt sich der Thematik des Festivals an und erinnert an die Formen von Blasinstrumenten und des menschlichen Innenohrs. Damit nähert sich die Installation auch der organischen und skulpturalen Architektur an. Die transluzente Membranhülle kann je nach gewünschter Stimmung beleuchtet werden. Zudem wirkt das Gewebe der muschelartigen Form der Bühne während eines Konzertes nicht verstärkend, es schallt also noch und sorgt für einen exzellenten Ton bei Konzerten.
Allianz Arena, Deutschland
Eines der bedeutendsten Bauwerke der textilen Architektur ist die Allianz Arena in München, deren Fassade seit 2005 eine der größten Membranhüllen der Welt trägt. Das Baseler Architekturbüro Herzog und de Meuron2 konzipierte das Fußballstadion mit einer Gesamtfläche von 37.600 Quadratmetern und Platz für 75.000 Menschen. Highlight des Gebäudes ist der Membranbau, eine der spannendsten Innovationen der textilen Architektur. Die Membranfassade des Stadions besteht aus 2.800 pneumatisch vorgespannten Kissen aus ETFE-Folie (Ethylen-Tetrafluorethylen) mit einer Spannbreite von bis zu 4,25 Metern.
Sie ist zu einem hohen Grad lichtdurchlässig, wiegt lediglich 350 Gramm pro Quadratmeter und zeigt eine hohe Beständigkeit gegenüber UV-Licht und anderen Umwelteinflüssen. Ventilatoren versorgen die Kissen mit ausreichend Druck und ermöglichen bei Schnee oder aufkommendem Wind einen Druckausgleich. Während die Membrankissen auf dem Dach transparent sind, sind die Fassadenkissen weiß. So kann das Stadion mittels der 25.000 Leuchtstofflampen in mehreren Farben erstrahlen, je nachdem, welcher Verein spielt.
the light within, Deutschland
Für die KunstKulturKirche Allerheiligen entwickelte Angela Glajcar3 die In-situ-Installation „the light within“. Die Mainzer Künstlerin arbeitet bei der Großinstallation mit mehreren Bahnen aus Glasgewebe, die im Innenraum der Kirche und dem Kirchgang waagerecht übereinander gelagert sind. Über eine Lichtkuppel trifft das Tageslicht auf die durchscheinenden Lagen, die 1,5 Meter breit und zwischen 12 und 18 Meter lang sind. Das Glasgewebe ist transluzent und reflektiert die Sonnenstrahlen, wodurch sich je nach Tageszeit verschiedene Lichtstimmungen ergeben. Von unten betrachtet schafft die Installation ein Stück Intimität in einem großen Kirchenschiff. Das durchscheinende Licht und die Leichtigkeit des Materials verhindern, dass die Stoffbahnen beengend wirken und ermöglichen dem Betrachter neue Perspektiven auf den Raum.
Das textile Bauen hat durch technologische Materialien wie Glasgewebe und ETFE-Folien eine neue Richtung erhalten. Die Stoffe ermöglichen das Umsetzen von Leichtbaukonzepten, die vor allem im Zusammenspiel von Transparenz und LED-Beleuchtung neue Raumerfahrungen ermöglichen.
Solche architektonischen Neuinterpretationen durchlaufen auch weitere traditionelle Baustoffe, beispielsweise Holz. Lesen Sie im Beitrag „Mit Holz hoch hinaus: 3 Holzhochhäuser der Superlative“, wie aus dem Naturstoff Wolkenkratzer entstehen.
1snohetta.com/project/58-tuballoon-kongsberg-jazz-festival
2 www.herzogdemeuron.com/index.html
3 www.glajcar.de/installationen/projekte/index_inhalt_16.html