Wäre die Comicfigur Superman nicht in den 1930ern erfunden worden und würde stattdessen, sagen wir, erst in den nächsten zehn Jahren erschaffen werden, dann wäre ihr berühmter Beiname womöglich nicht „man of steel“, sondern eher „man of wood“. Nicht etwa, weil es in zehn Jahren keinen Stahl mehr gibt, sondern weil dann ein speziell behandeltes Holz eventuell bekannt und weit verbreitet genug sein könnte, um Stahl vielfach zu ersetzen. Dieses besondere Holz gibt es nicht erst in zehn Jahren, sondern schon jetzt. Der verblüffende neue Baustoff ist so leistungsfähig, dass er es selbst mit Titanlegierungen aufnehmen kann.
Stark wie Stahl, aber sechsmal leichter sowie zwölfmal stärker und zehnmal härter als natürliches Holz soll das an der Universität von Maryland entwickelte Holz sein. Damit erinnert es ein Bisschen an Kohlenstofffasern, nur dass die Herstellung des Hochleistungsholzes weitaus billiger ist. Zu Beginn des Herstellungsprozesses kann das Material sogar flexibel gebogen und geformt werden. Wer braucht da noch Stahl?
Superdicht
Das Geheimnis des superleistungsfähigen Holzes liegt in seiner speziellen Behandlung. Dabei wird dem Material zunächst mit Lignin jener Bestandteil entzogen, der es steif macht und bräunlich färbt. Anschließend wird es bei einer Temperatur von etwa 65 Grad Celsius komprimiert, was dazu führt, dass die Zellulosefasern äußerst dicht zusammengepresst werden, wobei auch sämtliche Materialfehler wie Knoten und Löcher verschwinden. Die Komprimierung ist so extrem, dass zwischen den Fasern starke Wasserstoffbrückenbindungen entstehen und das Holz am Ende der Behandlung um das Fünffache dünner ist als in seiner ursprünglichen Form.
Die Wissenschaftler um Forschungsleiter Liangbing Hu vergleichen die Struktur des Holzes mit einer Gruppe von Leuten, die so dicht zusammengedrängt stehen, dass sie sich nicht mehr rühren können – und dabei gleichzeitig noch Händchen halten. Dies macht das Material auch ziemlich undurchdringlich, wie Tests mit gewehrkugelartigen Projektilen zeigten. Während die Projektile unbehandeltes Holz glatt durchdrangen, blieben sie im superdichten Holz auf halbem Wege stecken.
Nachhaltiger Ersatz für Stahl
Im Prinzip könnte das Holz überall dort Anwendung finden, wo man derzeit noch Stahl verwendet, sei es nun in Autos, Flugzeugen oder Gebäuden. Dass ein nachwachsender Ersatz für Stahl weitaus umweltfreundlicher wäre, liegt auf der Hand. Durch die Behandlung könnten darüber hinaus schnellwachsende, aber extrem weiche Hölzer hochwertigere, dichtere Holzarten im Möbel- und Häuserbau ersetzen und damit zu einer nachhaltigeren Forstwirtschaft beitragen.
Fazit
Ob das superleistungsfähige Holz dazu führen wird, dass Superman eines Tages den Beinamen „man of wood“ trägt, ist wohl eher unwahrscheinlich. Das Potenzial für eine Zäsur im Bauwesen hätte es allerdings allemal, zumal die Bedeutung von regenerativen Baustoffen tendenziell zunehmen wird. Aufgrund der Vielseitigkeit von Holz und seiner zahlreichen Arten und Formen scheint den Anwendungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Insbesondere in Zeiten, da sich der Holzbau in immer größere Höhen aufschwingt, könnte im extremen Holzhochbau ein mögliches Anwendungsgebiet liegen. Der Gedanke, dass Holz eines Tages Stahl in bewehrtem Beton ersetzt, klingt wiederum ebenso verrückt wie verlockend, scheint aber nunmehr mitnichten unmöglich.