Sobald etwas Besseres, Leistungsfähigeres erfunden wird, ersetzt der Fortschritt gnadenlos im Handumdrehen althergebrachte Technologien. Diesem harten Los fiel auch einst der Stampfbeton zum Opfer, als der Stahlbeton erfunden wurde. Durchaus zu Recht, aber ein Bisschen auch zu Unrecht, denn zwar hat Stampfbeton gegenüber seinem vielfach bewährten bewehrten Nachfolger so manchen Nachteil, doch besitzt er auch gewisse Eigenschaften, die ihn hervorheben und bestimmte Projekte interessant machen. Nach praktisch einem ganzen Jahrhundert der Missachtung führte ein ikonisches Gebäude diese Eigenschaften wieder vor Augen. Seither ist er wieder gefragt, wenn es eines besonderen ästhetischen Charmes bedarf.
Der Ursprung der Technik zur Herstellung von Stampfbeton liegt im Anfang des 17. Jahrhunderts in Frankreich entwickelten Pisé-Verfahren, bei welchem Lehm zu Wänden gestampft wurde. Diese Technik wurde gegen 1820 von Francois Martin Lebrun zu Stampfbeton weiterentwickelt. Bei dieser Methode wird ein steifes, erdfeuchtes Gemisch aus Natursteinen und Zement in einer Stärke von maximal 15 bis 25 Zentimetern in eine Schalung gegeben und so lange gestampft, bis die Oberfläche geschlossen ist und ein Feuchtefilm darauf entsteht. Bevor die nächste Schicht aufgetragen werden kann, muss die erste zunächst etwa einen Tag lang erhärten und wird anschließend angeraut, gereinigt und befeuchtet.
Revival eines vergessenen Baustoffs: Zumthor sei Dank!
Neben Gebäuden wurden bis Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere Fundamente und Brücken aus Stampfbeton errichtet. Dann kam der Stahlbeton und drängte den gestampften Verbundstoff, der zwar über eine enorme Druck-, aber mangelhafte Zugfestigkeit verfügt, für etwa 100 Jahre „ins Abseits“. In dieser Zeit wurde praktisch gar nicht mehr in Stampfbeton gebaut. Dies änderte sich erst, als das Ehepaar Trudel und Hermann-Josef Scheidtweiler Mitte der Nullerjahre an den Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor mit dem Wunsch herantrat, auf ihrem Feld bei Wachendorf in der Eifel eine Kapelle zu errichten.
Die Landwirte konnten Zumthor für sich gewinnen, der die Kapelle, die dem Schweizer Friedensheiligen Nikolaus von Flüe (auch Bruder Klaus genannt) geweiht werden sollte, zunächst als kleines Nebenprojekt betrachtete. Am Ende steckte er jedoch nach eigenem Bekunden fast so viel Arbeit in den kleinen Sakralbau wie in das etwa gleichzeitig entstandene Kölner Diözesanmuseum Kolumba und entwickelte ein ikonisches Bauwerk, das zu Weltruhm gelangen sollte. Der zwölf Meter hohe zeltartige Turmbau aus Stampfbeton wurde zwischen 2005 und 2007 über zwei Jahre hinweg mithilfe zahlreicher freiwilliger Helfer errichtet, die das Material Schicht für Schicht mit Händen und Füßen stampften.
Archaisch und beständig
Obwohl es sich um ein durch und durch modernes Bauwerk handelt, wirkt die Kapelle aufgrund der besonderen Optik des Stampfbetons und ihrer eigenwilligen Form seltsam urtümlich. Durch Zumthors Monolithen wurde so mancher Architekt wieder auf den Baustoff mit dem archaischen Look aufmerksam, der stark an natürlich entstandene Sedimentschichten erinnert. Neben seinem Aussehen wurden dabei jedoch auch einige andere interessante Eigenschaften wiederentdeckt. So verhindert etwa die durch das Stampfen erzeugte enorme Verdichtung des Betons Rissbildungen und führt gleichsam zu einer geringen Anfälligkeit für Formveränderungen, was Stampfbeton für eine monolithische und langlebige Bauweise besonders geeignet macht.
Fazit
Im Brücken- oder extremen Hochbau möchte man sich wohl lieber nicht auf den nicht allzu zugfesten „Altbeton“ verlassen. Dank Peter Zumthors Materialretrospektive wird er allerdings nun immer wieder für Projekte genutzt, bei denen er baulich unbedenklich ist und vor allem seine archaische Optik sinnvoll erscheint. Zum Beispiel als Ergänzung mittelalterlicher Steinstrukturen. Besonders nennenswert wäre hier etwa Max Dudlers preisgekröntes Besucherinformationszentrum für die Bielefelder Sparrenburg, bei welchem mit bestimmten Gesteinskörnungen auch eine farbliche Annäherung an das Bestandsgebäude erreicht wurde. In solch perfekt ausgeführten Stampfbetonbauten lebt es sich dann auch unbewehrt ganz unbeschwert.