Erneuerbare Energien sind auf dem Vormarsch – und verändern dabei auch zunehmend unsere Landschaften: Lässt man auf freiem Feld den Blick schweifen, trifft er mittlerweile mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo im Panorama auf Windräder. Auch Solaranlagen prägen unsere Umgebung, indem sie große Flächen für sich einnehmen. Will man in großem Maße Solarenergie erzeugen, braucht es dafür viel Platz. Über eine Lösung für dieses Platzproblem in Form transparenter Solarzellen berichteten wir bereits. In China nimmt man unterdessen inzwischen verbaute Flächen ins Visier, die reichlich vorhanden sind: Straßen. Solarzellen sollen hier nicht nur Strom erzeugen, sondern die Verkehrsadern auch langlebiger und smarter machen.
Die Idee liegt nahe und ist daher auch nicht ganz neu: Straßen sind praktisch überall. Warum also nicht das ungeheure Flächenpotenzial dieses Ozeans aus Asphalt für Solarenergie nutzen? Pilotprojekte hierzu gibt es bereits. In den Niederlanden wurde 2014 ein Radweg sehr erfolgreich mit Solarzellen bestückt. Das französische Bauunternehmen Colas hat in den letzten Jahren mehrere Teststrecken ihres Wattway eröffnet, darunter ein etwa ein Kilometer langer Bundesstraßenabschnitt in der Normandie. Das Pilotprojekt von Solarzellenhersteller Shandong Pavenergy und dem staatlichen Straßenbauunternehmen Qilu Transportation in Jinan dürfte allerdings in Sachen Größe und Belastbarkeit einen neuen Meilenstein für die Entwicklung von Solarstraßen darstellen.
Beste Lage: Autobahn
Die neue Teststrecke wurde Ende 2017 in der Hauptstadt der Shandong-Provinz fertiggestellt, wo sie auf zwei Kilometern einen Teil der Stadtautobahn bildet – der ultimative Härtetest für eine Solarstraße. Mit einer Fläche von 5.875 Quadratmetern aus Solarzellen soll sie im Jahr rund eine Million Kilowattstunden an Strom erzeugen und so etwa 800 Haushalte elektrifizieren. Tatsächlich ist der Stadtring ein hervorragender Ort für die Stromproduktion, da die Abnehmer sich in unmittelbarer Nähe befinden und somit praktisch keine Verluste bei der Stromübertragung auftreten.
Robustes Schichtsystem
Bislang sahen Experten in Solarzellen als Straßenbelag hauptsächlich Probleme in Bezug auf Belastbarkeit und Reibung. Als Autobahnbelag müssen die Solarzellen mehr oder weniger konstant einen Druck von mehreren Tonnen aushalten, und das über Jahre. Laut Shandong Pavenergy halten ihre Zellen jedoch nicht nur enormem Druck stand, sondern sind obendrein für eine Lebensdauer von 20 Jahren ausgelegt. Das Geheimnis liegt in ihrem dreischichtigen Aufbau: Die oberste Schicht besteht aus einem lichtdurchlässigen Betongemisch, das als flexibler Schutz für die zweite Schicht – die eigentlichen Silizium-Solarzellen – herhält. Eine wasserdichte Schutzisolierung bildet den untersten Belag.
Auch das zweite Problem, die Reibung, konnte von den Entwicklern um Zhang Hongchao, Bauingenieur und Professor an der Tongji Universität in Schanghai, gelöst werden. Mithilfe eines komplexen Polymers erzeugt die Oberfläche sogar geringfügig mehr Reibung als herkömmlicher Asphalt. Testfahrern zufolge fährt es sich auf der Teststrecke wie auf einer ganz normalen Fahrbahn.
Teuer, aber …
Noch ist die Technologie ziemlich teuer: Selbst in China soll ein Quadratmeter Solarautobahn um die 350 Euro kosten. Das ist sogar in Anbetracht der langen Lebensdauer immer noch kostspieliger, als eine gewöhnliche Straße alle paar Jahre warten zu lassen. Allerdings soll Shandong Pavenergy zufolge der Preis mit steigender Stückzahl bzw. dem großflächigen Ausbau von Solarstraßen sinken. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Solarstraße durch die Stromerzeugung zu einem Großteil amortisiert, was bei herkömmlichen Straßen nie der Fall sein wird.
Ob die Solarzellen für jede Straße geeignet sind, wird noch von Experten in Zweifel gezogen. So sagte etwa Kara M. Kockelman, Professorin für Verkehrsingenieurwesen an der University of Texas, in einem Interview mit der New York Times, dass die Zellen für US-amerikanische Straßen eher nicht infrage kämen, da sich diese aufgrund des sehr hohen Asphaltanteils bei Last zu sehr zusammenzögen. Die Zellen, die zwar enormen Druck aushalten, unter Biegung jedoch nur allzu leicht zerbrechen, hätten hier ein Problem. Nichtsdestotrotz würde sich Qilu Transportations gerne der Herausforderung stellen, auch in den USA Solarstraßen zu bauen.
Straßenevolution und „Straßenkriminalität“
Ob nun bereit für alle Straßen oder nicht: Was die Solarstraße in Jinan leistet, ist an sich schon beeindruckend. In naher Zukunft sollen die Zellen noch mit weiteren Fähigkeiten ausgestattet werden. Eine davon soll kabelloses Laden von Elektroautos sein. Die Technologie hierzu existiert bereits und wurde schon mehrfach erfolgreich getestet. Darüber hinaus wäre eine Art Diebstahlsicherung vermutlich ratsam: Innerhalb weniger Tage nach Fertigstellung wurden bereits mehrere Quadratmeter Solarzellen von Dieben aus der Straße gefräst und geklaut. Qilu und Pavenergy vermuten dahinter Industriespionage.