Wer mit zeitgenössischer japanischer und insbesondere Tokioter Architektur noch nicht vertraut ist, wird beim Kennenlernen dieser leicht ins Staunen geraten. Kaum eine andere Baukultur vermag mit so viel Kreativität und Einfallsreichtum die engsten Baulücken zu schließen und gleichzeitig spannende und lebenswerte Wohnkonzepte auf kleinstem Raum zu schaffen. In dieser Hinsicht ist moderne japanische Architektur unschlagbar. Doch bei allem Ideenreichtum hinkt sie in einer Sache noch weit hinterher: Energieeffizienz. Ein Regierungsprogramm soll die Wende bringen.
Sie tragen Namen wie „ARROW“, „63.03°“¹, “Little House with a big Terrace“² oder „Promenade House”³ und sie haben eines gemeinsam: Sie alle sind Kleinode moderner japanischer Architektur, die in den letzten fünf Jahren in der Fachpresse unter anderem deshalb für Aufsehen gesorgt haben, weil sie auf kreative Weise das Beste aus einer Baulücke machen, die diesen Namen kaum verdient. Ein Detail, das dabei zumeist unter den Tisch fiel, haben sie allerdings auch gemein: eine schlechte Energieeffizienz.
Vom „Verschwenderhaus“…
Dünne, kaum bis gar nicht gedämmte Wände, große einfach verglaste Fenster und undichte Türen sind selbst in der rezenteren japanischen Architektur keine Seltenheit. Die meisten Häuser verfügen darüber hinaus über keine Zentralheizung. Stattdessen verwenden ihre Bewohner bei Bedarf Elektroheizungen bzw. Klimaanlagen mit Heizfunktion. In der Summe resultiert daraus ein höherer Prokopfenergieverbrauch als in Deutschland, und das, obwohl das Klima in Japan durchschnittlich weit milder ist.
… zum Nullenergiehaus
Dieser laxe Umgang mit Energie ist aus zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen ist Japan seit der Katastrophe von Fukushima, in deren Folge die Stromerzeugung durch Kernenergie nahezu komplett eingestellt wurde, in erheblichem Maße auf Importe von Gas, Kohle und Erdöl angewiesen. Der Inselstaat selbst verfügt nur über schwindend geringe eigene Rohstoffe. Zum anderen läuft der hohe Energieverbrauch den Vorgaben des von Japan unterzeichneten Klimaabkommens zuwider. Letzteres war ausschlaggebend dafür, dass die Regierung 2015 schließlich einen Strategieplan auf den Weg brachte, der vorsieht, dass mehr als die Hälfte der bis 2020 in Auftrag gegebenen Häuser Nullenergiehäuser sein sollen.
Ein Bisschen anders
In Zahlen bedeutet dies, dass voraussichtlich bis 2020 jährlich im Durchschnitt etwa 50.000 Nullenergiehäuser entstehen werden. Im Großen und Ganzen gleichen diese den Nullenergiehäusern in hiesigen Gefilden: eine Kombination aus guter Wärmedämmung und eigener, regenerativer Energieerzeugung. In beiden Punkten gibt es jedoch auch Unterschiede. Während man hierzulande wohl eher auf Dreifachverglasung setzen würde, sind in Japan Doppelglasfenster bereits fortschrittlich. In puncto Energieerzeugung setzen japanische Nullenergiehäuser wiederum zusätzlich zur obligatorischen Photovoltaikanlage auf Wasserstoff-Brennstoffzellen. Darüber hinaus gehört bei den technikaffinen Japanern ein Home Energy Management System (HEMS) – eine Smart-Home-Applikation, die den Energieverbrauch überwacht und intelligent steuert – quasi standardmäßig dazu.
Schleppende Wende
Japan hinkte zuletzt nicht nur in der Gebäudeenergieeffizienz, sondern auch im Ausbau erneuerbarer Energien hinterher. Dies mag zunächst bei dem ansonsten so hoch entwickelten Land verwundern, zumal es vor nicht allzu langer Zeit noch führend in der Entwicklung regenerativer Energien war. Die Hauptschuld daran trägt die mächtige Atomlobby bzw. das sogenannte „nukleare Dorf“, bestehend aus einflussreichen Politikern, Industriellen, Wissenschaftlern und Medien, das trotz der Fukushima-Katastrophe nach wie vor ein Festhalten an der zuverlässigeren und somit „sichereren“ Kernenergie propagiert. Mittlerweile fordern neben einem Großteil der Bevölkerung allerdings auch weite Teile der Industrie ein Umdenken.
Das Etablieren von Nullenergiehäusern ist da ein guter Anfang. Und die müssen sich rein formal (von den Photovoltaikanlagen einmal abgesehen) auch gar nicht von anderen Häusern unterscheiden. Somit dürfte wohl auch der grandiose architektonische Einfallsreichtum im Zuge der Energiewende erhalten bleiben. Vielleicht führen die erhöhten Anforderungen des Nullenergiestandards ja sogar zu ganz neuen raffinierten baulichen Lösungen.