Das Korkenzieherhaus von rundzwei Architekten aus Berlin überlistet als Raumwunder die Bauordnung und erntet zusätzliches Staunen für Fassade, Form und Nachhaltigkeit.
Es heißt, wir wüchsen mit unseren Herausforderungen. Gewiss trifft das auch auf die meisten von uns zu, doch lässt sich wohl nur in Ausnahmefällen bewundernd feststellen, dass jemand über sich selbst hinausgewachsen ist. Wenn Architekten etwa in genialer Weise aus einem einzigen zulässigen Vollgeschoss ein Vielfältiges der bebauten Fläche herausholen, dann lässt sich das schon einmal mit einem, solch besonderen Anlässen des Über-Sich-Hinauswachsens vorbehaltenen, „Bravo!“ quittieren. Dieser bravouröse Streich ist rundzwei Architekten aus Berlin mit ihrem Korkenzieherhaus geglückt. Doch die Grandiosität des Gebäudes hört damit nicht einmal auf.
Von außen betrachtet, könnte man meinen, der Name rühre einzig von der Fassade aus Korkplatten – darauf soll noch zu sprechen sein – her. Tatsächlich ist er vielmehr eine treffende Beschreibung des pfiffigen Grundrisses: Um das Maximum aus „einem“ Vollgeschoss herauszuholen, wurde das Haus um eine halbe Geschosshöhe im Boden versenkt. Von hier beginnend, schraubt sich das Gebäude in Form von Split-Levels, die sich um ein atelierartiges Treppenhaus formieren, korkenzieherartig immer weiter in die Höhe – und erreicht so eine stattliche Bruttogeschossfläche von 320 Quadratmetern. Ein zusätzliches Detail unterstützt den Raumgewinn: Alle vier Außenwände sind als Giebel ausgeformt.
Natürlich und nachhaltig
Nun aber zum Kork im Korkenzieherhaus. Auch der erweist sich in mehrerlei Hinsicht als eine ausgezeichnete Entscheidung. So erfüllt der Naturbaustoff zunächst den Wunsch der Bauherrin nach einem guten Schallschutz. Daneben sorgt das Material für eine derart gute Wärmeisolierung, dass keine zusätzlichen Dämmstoffe für die Außendämmung vonnöten sind, und bietet darüber hinaus einen natürlichen Schutz gegen Schimmel und Witterung. Die Korkpaneele, die das Einfamilienhaus zieren, wurden obendrein aus dem Material alter Weinkorken recycelt und lediglich durch Druck und Hitze hergestellt. Durch das dabei entweichende Korkharz waren keine künstlichen Zusatzstoffe als Bindemittel vonnöten.
Unter dem Kork befindet sich übrigens eine Holzkonstruktion mit Wand- und Fassadenaufbauten aus Holzfaser- und Zellulosedämmstoffen. Komplementiert wird das grüne Konzept durch ein preisgekröntes (Deutscher Innovationspreis) Heizverteilersystem mit echtem Schichtenspeicher, das mit einer Kombination aus Solarthermie, Wärmerückgewinnung eines wassergeführten Kamins, Bauteilaktivierungselemente – das Haus steht auf einem Stampfbetonsockel –, Fußbodenheizung und Gasbrennwerttherme eine nahezu autarke Wärmeenergieversorgung ermöglicht.
Preisverdächtig, aber…
Als Gesamtkunstwerk ist das Korkenzieherhaus zweifellos preisverdächtig – und heimste dementsprechend etwa bereits den materialPREIS 2019 und den Preis für innovative Architektur bei den ICONIC AWARDS 2019 ein. Auf lange Sicht gäbe es allerdings noch ein Problem zu lösen: Wie bekommt man die ganzen Split-Levels barrierefrei?