TUM-Spitzenforscher André Borrmann gibt spannende Einblicke in die Forschung zu wissensbasiertem Engineering im Bauwesen.
Beschäftigt man sich mit Künstlicher Intelligenz, stellt sich derzeit nicht die Frage, ob, sondern vielmehr wann und wie sie das Bauen künftig verändern wird. Welche Innovationen im Bereich KI gibt es bereits? Was sind aktuelle Trends? Wo liegen die Potenziale und wie können sie in Zukunft im Ingenieurbüro genutzt werden? Prof. Dr.-Ing. André Borrmann ist Leiter des Lehrstuhls für Computergestützte Modellierung und Simulation an der TU München und gehört weltweit zu den führenden Forscher:innen für Digitalisierung im Bauwesen. Im Rahmen eines ALLPLAN-Online-Events zu „KI im Ingenieurbau“ gewährte er zuletzt spannende Einblicke in die Zukunft des wissensbasierten Engineerings (knowledge-based engineering) mit KI.
Vom Prompt zum BIM-Modell
Eines der zahlreichen Forschungsvorhaben zur Anwendung von KI im Bauwesen an der TU München ist der BIM CoPilot. „Es geht darum, natürliche menschliche Sprache als Eingabe für das Erzeugen von BIM-Modellen zu verwenden“, erklärt André Borrmann. Die Forscher:innen nutzen dabei eine Reihe verschiedener Large Language Models (LLM). Jedes dieser Modelle fungiert als „Agent“, der eine bestimmte Aufgabe im Modellierungsprozess erfüllt. Das läuft folgendermaßen ab:
Die Nutzer:innen beschreiben zunächst in natürlicher Sprache ein Gebäude (beispielsweise ein Bürogebäude mit zwei Stockwerken und einer bestimmten Fassade). Aus diesen Informationen erzeugt daraufhin der erste Agent präzise Anweisungen in Form von Koordinaten wie der Position und Höhe der Wände. Hierzu zieht er eventuell noch einen Architektur-KI-Agenten zu Rate, dessen umfassendes Wissen zum Aufbau von Gebäuden er miteinbezieht. Diese detaillierten Anforderungen gehen anschließend an den KI-basierten Programmier-Agenten, der diese wiederum in API-Befehle für ein Modellierungswerkzeug übersetzt.
Das so entstandene Modell wird in Solibri automatisiert auf Qualität geprüft. Die Ergebnisse der Prüfung landen danach als Feedback wieder beim Programmier-Agenten. So entsteht eine Korrekturschleife, in deren Folge iterativ immer bessere Varianten des Gebäudemodells erzeugt werden. André Borrmann sieht in der Verbindung von generativer KI und BIM sehr großes Potenzial, da oft der Aufwand für die Modellierung eine entscheidende Hürde für BIM in der Planung darstellt. Eine stärkere Automatisierung durch KI könnte hier in Zukunft Abhilfe schaffen.
Digitalisierung von Bestandsbauwerken mit KI
Ein anderer wichtiger Forschungsgegenstand, mit dem sich André Borrmann und seine Mitarbeiter:innen befassen, ist die digitale Rekonstruktion von Bestandsbauwerken. Die Basis für digitale Zwillinge bestehender Bauwerke ist deren Geometrie, die häufig bereits mithilfe von Laserscanning oder Fotogrammmetrie erfasst wird. Die dabei entstehenden Punktwolken sind als Planungsgrundlage nur eingeschränkt geeignet. „Wir haben deshalb ein Verfahren entwickelt, das aus diesen Punktwolken weitgehend automatisiert hochwertige digitale Zwillinge mit konsistenter Geometrie und Semantik macht“, berichtet André Borrmann.
Auch hierbei kommt wissensbasiertes Engineering zum Einsatz. Das heißt, ein neuronales Netzwerk wird zunächst mit menschlichem Wissen darüber trainiert, wie – beispielsweise – Brücken aufgebaut sind. Die Punktwolke wird auf Grundlage dessen semantisch segmentiert. „Wir zerteilen diese ursprüngliche rohe Punktwolke in eine Reihe von Teilpunktwolken von einzelnen Elementen wie Überbauten, Widerlager, Geländer und so weiter“, sagt André Borrmann.
Anschließend geht es in das sogenannte Model Fitting, bei dem vorkonfigurierte parametrische Objekte über einen Optimierungsalgorithmus in die Teilpunktwolken eingepasst werden. „Da wir in der Punktwolke nicht alles sehen, nehmen wir noch die technischen Zeichnungen zur Hilfe, um – auch wieder mittels KI-Verfahren – fehlende Elemente zu ergänzen“, so André Borrmann. Die Analyse der Zeichnungen erfolgt über ein Object Detection Network aus der Bildverarbeitung, das mit sehr hoher Genauigkeit arbeitet. Die KI-generierten digitalen Zwillinge von Brücken schon jetzt genau genug für viele Anwendungen in der Praxis.
Riesiges Potenzial für KI im Bauwesen
Dies sind nur zwei von zahlreichen möglichen KI-Anwendungen für die Baubranche, mit denen sich André Borrmann an seinem Lehrstuhl beschäftigt. „Aus unserer Sicht hat KI im Bauwesen ein riesiges Potenzial“, betont der Experte. Potentiell gibt es zahllose Anwendungsbereiche, insbesondere in der Datenauswertung und -analyse (wie etwa bei der Verarbeitung von Punktwolken). Auch in der Vereinfachung wiederkehrender Aufgaben durch Assistenz-Systeme sei das Potenzial sehr groß.
Vorsicht bei Nutzung von KI geboten
Allerdings mahnt André Borrmann auch zur Vorsicht: Da es sich um statistische Verfahren handelt, sind die Ergebnisse von Natur aus unsicherheitsbehaftet und daher stets von fachkundigen Ingenieur:innen zu prüfen. Wichtig sei gleichwohl die Qualität der Trainingsdaten. Wird eine KI mit einer Aufgabe konfrontiert, für die sie nicht explizit trainiert wurde, entstehen mit hoher Wahrscheinlichkeit Fehler. Dieser Grenzen müsse man sich bei der Nutzung von KI immer bewusst sein.
>> Sehen Sie sich das komplette Interview mit Prof. Dr.-Ing. André Borrmann hier an.