Kapselhotel mit „Buchbefall“

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Atelier tao+c kreieren ein architektonisches Kleinod mit Alleinstellungsmerkmal im chinesischen Qinglongwu.

Es ist noch nicht lange her, da wurde angesichts des aufstrebenden E-Books das baldige Ende des althergebrachten Buches aus Papier prophezeit. Die Liebe zum gebundenen Lesemedium wurde dabei jedoch eindeutig unterschätzt, übertrifft dessen Marktanteil die elektronische Konkurrenz schließlich noch immer um ein Vielfaches. Es scheint eben doch nicht nur auf den Inhalt anzukommen. Bücher – und insbesondere Regale oder Wände voll von ihnen – haben irgendwie etwas ungemein Entspannendes, Beruhigendes, Angenehmes und nicht zuletzt Dekoratives an sich. Warum, ist nicht ganz klar. Dennoch lässt sich dieser Effekt leicht nachempfinden – zum Beispiel anhand eines außergewöhnlichen Kapselhotels in der chinesischen Provinz Zhejiang.

Mischnutzung liegt offenbar nicht nur in den Städten im Trend, sondern hält auch schon mal auf dem Land Einzug. Das lässt zumindest das Projekt von Atelier tao+c im Dorf Qinglongwu erahnen. Ein altes (vermutlich) Wohngebäude – eine Holzkonstruktion mit Lehmverputz – wurde von den Architekten in ein Mischwesen aus Kapselhotel, Bibliothek und Buchladen verwandelt. Dabei ist nicht unbedingt klar, wo die eine Nutzung anfängt und die andere aufhört. Bücherregale durchziehen das ganze Haus und drängen sich charmant als Leitthema in den Vordergrund. Dass hier auch bis zu 20 Gäste in getrennten Frauen- und Männerbereichen nächtigen, geht dabei schon fast unter.



Herberge mit Alleinstellungsmerkmal

Das ursprünglich zweigeschossige Gebäude mit rund 230 Quadratmetern Nutzfläche wurde komplett entkernt, samt früherem Obergeschoss. Anschließend füllten die Architekten den gut sieben Meter hohen Raum mit zwei „schwebenden“ Strukturen, die sich unabhängig voneinander über ein nun offenes Erdgeschoss erheben. Split-Levels organisieren das Raumprogramm ab dem ersten Obergeschoss organisch in Aussichtsplattformen, Kapseln und Sanitäranlagen auf insgesamt drei Stockwerken. Ein Highlight bildet zudem ein Anbau in Form einer Glaskonstruktion, die das Relief des Bestands verlängert und das Gebäude als Atelier für reichlich Licht und Ausblicke auf der Ostseite öffnet.



Spiel der Kontraste

Neben der Kombination aus allgegenwärtigen Bücherregalen und einem organischen Raumprogramm, das diese wie einen – zugegebenermaßen willkommenen – Parasiten das gesamte Haus befallen lässt, schafft ein Mix aus ausdrucksstarken Materialien effektvolle Kontraste. Graues Pflaster und ein geziegelter Sockel in derselben Farbe kontrastieren das Holz der Bücherregale und deren papierenen Inhalt. Insbesondere im Atrium, wo die Ziegel ein Miniaturamphitheater als Sitzgelegenheit ausformen, stellt sich eine geradezu meditativ-kontemplative Atmosphäre ein. Eindeutig ein Ort zum Entschleunigen. So weit alles Holz, Glas, Ziegel – fehlt noch Stahl. Der vollendet in Form filigraner Treppen elegant das Gesamtkunstwerk.