Interview: 3D-Druck im Bauwesen und das Forschungsprojekt AMC TRR 277

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AMC-Forscherin Prof. Dr. Kathrin Dörfler zeigt im Interview, warum die Baubranche den 3D-Druck weiterhin auf dem Schirm haben sollte.

Vor wenigen Jahren noch galt der 3D-Druck als eine der vielversprechendsten Zukunftstechnologien für das Bauwesen. Mit den schwindelerregenden Entwicklungen im Bereich KI hat die Faszination für das additive Verfahren jedoch zuletzt etwas nachgelassen. Zu Unrecht, denn das Potenzial der Technologie ist nach wie vor riesig. Im Gespräch verrät Prof. Dr. Kathrin Dörfler von der TU München, welchen Impact der 3D-Druck auf das Bauen haben könnte. Die Architektin forscht aktuell im gemeinsamen Sonderforschungsbereich der TU München und der TU Braunschweig "Additive Manufacturing in Construction (AMC TRR 277)" an den Möglichkeiten der 3D-Druck-Technologie für den Bau.

1. Der erste große Hype um den 3D-Druck im Bauwesen ist vorbei. Es gibt weltweit Projekte und Experimente. Was haben wir daraus gelernt?

Dörfler: Der erste Hype um 3D-Druck im Bauwesen ist vorbei, doch das Verfahren bietet weit mehr als bisher bekannt. Neben den Erfolgen einzelner Projekte zeigt sich, dass im 3D-Druck unterschiedlichste Materialien und Prozesse eingesetzt werden können, um spezifische Herausforderungen zu lösen. Dabei ermöglicht der 3D-Druck ressourcenschonendes Bauen ohne aufwendige Schalungen und mit minimalem Abfall, was die CO2-Bilanz im Bau substanziell verbessern könnte. Entscheidend bleiben die Weiterentwicklung von Materialeigenschaften, Prozessstabilität und Präzision sowie ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit. 3D-Druck eröffnet zudem neue Freiheiten für individuelle Designs und maßgeschneiderte Bauteile.

2. Was funktioniert schon und was nicht?

Dörfler: Auf Baustellen dominiert bisher die Extrusionstechnik, aber 3D-Druck kann viel mehr: Verfahren wie Spritzbeton oder Partikelbettdrucken sowie Materialien wie Metall oder Lehm sind kaum genutzt. Das volle Potenzial – von Formfreiheit bis zur Kombination von Form, Material und Prozess – wird noch nicht ausgeschöpft. Besonders bei komplexen optimierten Formen ist 3D-Druck unschlagbar, doch solche Anwendungen sieht man noch selten. Auch die Baukette ist weit von einer durchgängigen Digitalisierung entfernt. Herausforderungen bleiben in der digitalen Kette von Planung zur Ausführung, Materialentwicklung, Dauerhaftigkeit, Integration von Bewehrung und Standardisierung, was die breite Nutzung derzeit noch hemmt.

3. Wo wird 3D-Druck als Standardverfahren im Bauwesen eingesetzt?

Dörfler: 3D-Druck ist noch kein Standardverfahren, zeigt aber großes Potenzial sowohl im Hochbau wie auch im Infrastrukturbau. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und zeichnet sich durch weltweit bekannte Pilotprojekte aus, deren Umsetzung auch durch unsere Forschung in AMC unterstützt wurde. Vor allem in den Niederlanden, den USA und in einigen asiatischen Ländern wird der 3D-Druck zunehmend auch breitenwirksam in innovativen Bauprojekten verwendet. Auch die Forschung des AMCs zielt auf den „Large Impact“ ab, d.h. den 3D-Druck als Technologie mit breiter Anwendbarkeit zu etablieren und nicht auf Nischenanwendungen zu beschränken. Beispielsweise kann der 3D-Druck besonders im Küstenschutz und anderen schützenden Infrastrukturbauten durch seine Flexibilität und individuelle Anpassungsfähigkeit künftig maßgeblich zur Entwicklung schneller und effektiver Lösungen beitragen.

4. Die Baustelle ist ein schwieriger Ort für hochpräzise Maschinen: Klima, Diebstahl, Material-Logistik sind die Herausforderungen. Wo steht Ihrer Meinung nach in Zukunft der 3D-Drucker? In der Vorfertigung oder auf der Baustelle?

Dörfler: Klimatische Einflüsse wie extreme Hitze oder Kälte können die Präzision und Qualität des 3D-Drucks beeinträchtigen. Dennoch zeichnet sich ab, dass der 3D-Druck mittelfristig auch direkt auf der Baustelle eingesetzt werden kann. Aktuell wird hierzu intensiv geforscht, etwa im Rahmen der "Digitalen Baustelle". Dieses Konzept untersucht den Einsatz von 3D-Druck vor Ort und integriert weitere digitale Technologien wie Mixed Reality, mobile Roboter und Trackingsysteme, um hochpräzise Human-Machine-Interaktionen auf der Baustelle zu ermöglichen. Zukünftig werden je nach Anforderungen Mischsysteme zum Einsatz kommen: Off-Site-Druck, bei dem Bauteile unter kontrollierten Bedingungen vorgefertigt und zur Baustelle transportiert werden; On-Site-Druck, bei dem Vorfertigungen nahe der Baustelle erfolgen; und In-Situ-Druck, bei dem der Druckprozess direkt auf der Baustelle stattfindet. Diese Kombinationen erlauben eine flexible Anpassung an unterschiedliche Bauprojekte und erschließen Optimierungspotenziale insbesondere in der Logistik und Effizienz von Bauprozessen.

5. Woran wird im Projekt AMC TRR 277 geforscht? Wo liegen die ungelösten Herausforderungen im Gesamtprozess?

Dörfler: Unser Sonderforschungsbereich AMC TRR 277 widmet sich der ganzheitlichen Erforschung der 3D-Drucktechnologie im Bauwesen. Dabei werden nicht nur die Druckprozesse selbst betrachtet, sondern auch angrenzende Bereiche wie Automatisierung und Robotik einbezogen. Ziel ist es, den gesamten Bauprozess – von der Planung über den Materialeinsatz bis hin zur Ausführung auf der Baustelle – neu zu denken und effizienter sowie nachhaltiger zu gestalten. Ein zentraler Fokus liegt auf der Material-Prozess-Interaktion, da die Eigenschaften und Verarbeitungsweisen der Materialien entscheidend die Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeiten der Druckprozesse bestimmen. Durch die enge Verzahnung von Materialentwicklung und Prozessgestaltung entstehen robuste und vielseitig einsetzbare Lösungen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung eines Materialkatalogs, der Baustoffe wie Beton, Metall, Lehm und andere natürliche Materialien für den großmaßstäblichen 3D-Druck umfasst. Besonders wichtig ist dabei die ökologische Nachhaltigkeit: In einem eigenen Projekt analysieren wir, wie der Ressourcenverbrauch reduziert und CO₂-Emissionen durch den Einsatz von 3D-Druck minimiert werden können, um das volle Nachhaltigkeitspotenzial dieser Technologie auszuschöpfen.

6. Das Forschungsprojekt ist sehr groß, es gibt über 100 Forscher. Gibt es da auch unterschiedliche Denkrichtungen, wie AM in Zukunft eingesetzt werden soll? Wie arbeiten die Forschergruppen zusammen?

Dörfler: Der Sonderforschungsbereich AMC TRR 277 umfasst ein breites Spektrum an Fachdisziplinen, und dementsprechend gibt es auch verschiedene Denkrichtungen. Diese Vielfalt an Perspektiven ist jedoch eine Stärke des AMC, denn so treffen die unterschiedlichen Expertisen aufeinander und arbeiten eng zusammen. Die Forschungsgruppen sind bei uns interdisziplinär aufgestellt und profitieren von einem ständigen Austausch—ein großer Vorteil im AMC.

7. Welche Fachdisziplinen sind im Projekt zusammengefasst?

Dörfler: Der AMC bringt Expertisen aus Bauingenieurwesen, Materialwissenschaften, Architektur, Maschinenbau und Robotik zusammen, die an den Hauptstandorten der Technischen Universität Braunschweig und der Technischen Universität München kooperieren. Angesichts der globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energietransformation, Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit und Fachkräftemangel sind interdisziplinäre Ansätze unverzichtbar. Der 3D-Druck spielt dabei eine zentrale Rolle als Schlüsseltechnologie, um das Bauen effizienter, ressourcenschonender und erschwinglicher zu gestalten. Weitere Informationen finden Sie auf der offiziellen Webseite: https://amc-trr277.de/.