Einst prägten sie das Stadtbild maßgeblich, dann wurden sie weitgehend aus den Städten verbannt: Industriebauten. Dieser städtebauliche Wandel schlug sich leider auch architektonisch nieder. Während etwa stadtzentrale Fabrikgebäude aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert heute so manchen Industrieromantiker verzücken und zu Wohn- und Bürogebäuden umfunktioniert werden, ist ein ähnliches Schicksal für spätere Vertreter ihrer Art nicht nur aufgrund ihrer Dezentralität fraglich. Der Grund: Sie sind einfach fernab jeglichen ästhetischen Anspruchs. Glücklicherweise scheinen sich viele Architekten mittlerweile wieder der Idee anzunähern, dass auch Industriebauten nicht nur förmlich ansprechend sein können, sondern auch sollten.
Viele Industriebauten befinden sich wegen der erhöhten Umweltbelastung durch Lärm, Abgase, Geruch etc. völlig zu Recht in Industriegebieten außerhalb oder zumindest am Rand der Städte. Unglücklicherweise schien die Formgebung dieser architektonischen „Randfiguren“ lange Zeit einzig praktischen Überlegungen unterworfen. Eine Praktik, die inzwischen vielfach von Architekten revidiert wurde und wird. Dass Industriearchitektur noch viel mehr sein kann, als bloß Wände und ein Dach für Mensch und Maschine, zeigen die folgenden beiden Beispiele. Jedes stellt für sich genommen nicht nur ein Stück überaus gelungener Architektur dar, sondern zeichnet sich darüber hinaus auch durch ein (seinerzeit) völlig neuartiges Konzept aus.
Meilenstein zeitgenössischer Industriearchitektur: Zaha Hadids BMW-Werk Leipzig
Ein Meilenstein moderner Industriebauten ist zweifelsohne Zaha Hadids Hauptgebäude für das Leipziger BMW-Werk aus dem Jahr 2005. BMW wünschte hier explizit eine neue Ästhetik für ein Gebäude, welches alle Aktivitäten des Werks zusammenführt und verzweigt. Die förmliche Umsetzung dieser Vorgabe durch ZHA besteht aus zwei Sequenzen terrassierter Platten, die scherenförmig übereinander laufen und so zwei gewaltige Stufen bilden. Alle Bewegungen des Werks fließen hier in einem transparenten, multifunktionalen Raumprogramm zusammen. Ingenieure und Verwaltungsangestellte können sich gegenseitig bei der Arbeit zusehen. Ein quer durch den Raum verlaufendes Förderband mit Karosserien auf dem Weg zur Lackiererei führt allen vor Augen, wofür sie arbeiten.
Ein großes Manko hat das BMW-Werk in Leipzig allerdings: Nur sein Herzstück ist ein Hadid-Meisterwerk, den Rest bilden eher fantasielose Hallencontainer. Nichtsdestotrotz wurde das Werk beim Industrial Excellence Award 2013 sowohl zur besten europäischen Fabrik als auch zum europäischen Gesamtsieger gekürt. Hadids Hauptgebäude wurde indes bereits 2005 für seine innovative Gestaltung und die Schaffung einer neuen Form der Industriearchitektur mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet.
BMW-Werk Leipzig
Kraftwerk trifft Bergsport: BIGs Amager Bakke
Damals war es Zaha Hadid, heute beschreitet BIG unbekanntes Neuland in Sachen Industriebau. Und zwar mit einem Objekt, das gleich auf mehreren Ebenen Innovationen schafft, die durchaus dem allgemeinen Wohl dienen. So ist das 2017 fertiggestellte neue Amager Resource Center im Osten Kopenhagens weit mehr als nur ein ästhetischer Blickfang. Zum einen kommt in dem Müllheizkraftwerk modernste Technik zum Einsatz, die es zu einem der effizientesten und saubersten der Welt macht. Zum anderen kommt es den Kopenhagenern, neben der Müllentsorgung und der Versorgung mit grüner Wärmeenergie und Strom, noch auf eine völlig unerwartete andere Weise zugute.
Nicht zufällig wird das neue Kraftwerk auch „Amager Bakke“ (Amager-Hügel) genannt. Tatsächlich beschreibt sein Dach einen gewundenen Hang. Auf diesem werden nach seiner Eröffnung (vermutlich Herbst) 2018 vier Skipisten verlaufen. Doch damit noch nicht genug des Bergsports. Ein Teil der Fassade wird die mit 86 Metern Höhe und zehn Metern Breite weltgrößte künstliche Kletterwand bereitstellen. Ein Joggingpfad und ein Café am oberen Ende des Hangs runden das Kraftwerk-Naherholungsgebiet-Bergsportcenter ab.
Müllheizkraftwerk Amager Bakke
BIG setzt ein Zeichen
Amager Bakke ist mehr als eine kuriose Mischung zusammenhangloser Funktionen. Es ist ein Industriebau, der sich auf völlig neuartige Weise wieder direkt an die Menschen wendet und in die Stadt zurückkehrt. Denn zwar befindet sich das Kraftwerk am Rande Kopenhagens, doch keineswegs in der Abgeschiedenheit. Die Oper oder die Kunstakademie sind beispielsweise nur fünf Minuten mit dem Auto entfernt. Erträglich wird diese Menschennähe mithilfe neuester Verbrennungs- und Filtertechnologie, durch welche die Luft um das Kraftwerk herum tatsächlich besser ist als im Stadtzentrum. Bis zur Eröffnung wird BIG diese sauberen Emissionen obendrein auch noch optisch aufbereiten – in Form cartoonesker Rauchringe.