Der Anteil der Bevölkerung in Deutschlands Städten nimmt stetig zu, urbaner Wohnraum wird folglich immer knapper. Um eine Zersiedelung mit ihren unschönen Begleiterscheinungen möglichst zu vermeiden, hilft dort, wo es an Wohnungen fehlt, nur noch eins: Nachverdichtung. Dabei gilt, je größer die Wohnungsnot, desto höher der Druck, vorhandene Freiflächen in Bauland umzuwandeln, die eigentlich nicht unbedingt als solches vorgesehen waren. Ein besonders ambivalentes Beispiel hierfür ist die Bebauung von Hinterhöfen. Hier prallen zwangsläufig gegensätzliche Interessen aufeinander.
„Des einen Freud ist des anderen Leid“ ist ein Sprichwort, das bestens zur Nachverdichtung in Hinterhöfen passt. Denn was für die Nutzer des neuen Wohnraums eine glückliche Fügung darstellt, hat für die Anwohner meist wenig Positives. Für letztere überwiegen die Einbußen in Bezug auf Flächen im Außenbereich, Licht und Ausblicke. Auch die Privatsphäre ist betroffen, wenn nachbarliche Fenster plötzlich näher rücken. Eine wirkliche Lösung für diesen Konflikt gibt es nicht. Am Ende entscheiden Gesetze und Behörden darüber, wer sich freuen oder ärgern kann.
Pyramide in Prenzlauer Berg
Eine Baugenehmigung für ein neues Hinterhaus zu bekommen war lange Zeit äußerst schwierig, also eher im Sinne der Anwohner. Unter dem enormen Druck der Wohnungsknappheit in begehrten Städten hat sich jedoch das Blatt weitgehend zugunsten der Bauwilligen gewendet, wie ein Projekt in Prenzlauer Berg zeigt. Der Besitzer eines Mehrfamilienhauses wollte schon in den Neunzigern den dazugehörigen Hinterhof bebauen, hatte aber unter den damaligen Umständen keine Chance bei den Behörden. Bei einer erneuten Anfrage einige Jahre und zahlreiche neue Berliner später schien die Bebauung keine so schlechte Idee mehr zu sein und wurde genehmigt.
Das für alle (also auch für die Anwohner – zumindest ein Stückweit) Erfreuliche an dem neuen Wohnhaus ist dessen besondere Architektur, bei der sich die obere Hälfte des Gebäudes pyramidenförmig verjüngt. Kurioserweise ist diese Form nicht das Resultat eines mutwillig außergewöhnlichen Entwurfs seitens des Architekturbüros Barkow Leibinger, sondern vielmehr einer Kombination aus klar definierten Grenzen sowohl seitens der Bauaufsicht als auch des Denkmalamts (die umliegenden Häuser standen unter Denkmalschutz) geschuldet.
Kampf in Kiel
Der Berliner Bauherr konnte sich glücklich schätzen. Ob die Mieter aus dem Altbau mit der Entwicklung zufrieden waren, ist jedoch fraglich. Ein Fall in Kiel illustriert diese andere Seite der Medaille. 2013 wurde von der Stadtverwaltung die Bebauung im Hinterhof eines Karrees am Blücherplatz genehmigt, wo sich vorher alte Garagen, Werkstätten und eine Baumreihe befanden. Die von der Idee alles andere als begeisterten Anwohner formierten sich schnell zu einer Bürgerinitiative, die in einer Bürgerveranstaltung 2014 immerhin erwirkte, dass statt nur einem drei Entwürfe zur Auswahl standen.
Die Wahl fiel auf jenen Entwurf, der aus Anwohnersicht das geringste Übel zu sein schien: Eine Block-in-Block-Bebauung aus drei dreigeschossigen Gebäuden von 9,5 Metern Höhe, entworfen von BSP. Der Entwurf sah auch die Rettung der Bäume sowie die Schaffung eines neuen Spielplatzes vor. Als wirklich guter Kompromiss wurde er trotzdem nicht empfunden. Noch bis zum Baubeginn 2016 demonstrierten die Anwohner gegen das Vorhaben, vor allem da zu den drei Geschossen ein Staffelgeschoss und damit zusätzliche drei Meter Höhe hinzukamen. Verbunden mit der Nähe zum Bestand führte dies dazu, dass praktisch alle Wohnungen und Gärten der Randbebauung an Licht einbüßten.
Entwicklung zugunsten der Hinterhausentwickler
Zwar sieht die Wirtschaft Genehmigungsverfahren nach wie vor als größte Hürde für Nachverdichtungsverfahren, wie eine Studie der IW Köln kürzlich verdeutlichte. Wie die beiden beschriebenen Beispiele zeigen, ist dieses Hindernis jedoch bei weitem nicht mehr so hoch wie noch vor einigen Jahren. Für Wohnungssuchende und Bauwillige ist dies ein großes Glück. Anwohner hingegen werden, solange der Druck auf dem Wohnungsmarkt hoch bleibt, kaum eine Chance haben, sich gegen eine Nachverdichtung im eigenen Hinterhof zu wehren. Was ihnen bleibt, ist allenfalls, einen Kompromiss zu erwirken und eventuell auch positive Entwicklungen zu begrüßen, wie eine architektonische Aufwertung oder neue Funktionen wie ein Spielplatz.