Erstaunlich: Wissenschaftler der Uni Stuttgart, der ETH Zürich sowie der Schweizer Empa haben eine Methode entwickelt, mit der sich die Biegung von Holz „programmieren“ lässt.
Egal ob Waschmaschine, Rasensprenger oder den gesamten Hausbetrieb: dank moderner Computerchips lässt sich heutzutage praktisch alles irgendwie programmieren, was Strom verbraucht. Dass es allerdings auch eine Möglichkeit gibt, Holzplatten so zu programmieren, dass sie sich auf eine exakt vorgegebene Weise biegen, dürfte die meisten unter uns wohl eher überraschen. Forscher der Universität Stuttgart, der ETH Zürich und der Empa haben nun eine Methode entwickelt, die genau das ganz ohne äußere Krafteinwirkung ermöglicht.
Bilayer machen’s möglich
Wie heißt es schon im Volksmund: „Holz arbeitet.“ Je nach Umwelteinflüssen verformen sich hölzerne Bauteile oder Möbel mit der Zeit, als führten sie ein geheimes Eigenleben. Der tatsächliche Grund liegt in der Feuchtigkeit, die der Naturbaustoff aufnimmt oder abgibt. Holz quillt oder schwindet, und zwar in einer bestimmten Richtung. So zieht sich feuchtes Holz etwa senkrecht zur Faserrichtung stärker zusammen als längs der Faserung, wenn es trocknet. Dieses normalerweise unerwünschte natürliche Verhalten des Materials machen sich die Wissenschaftler zunutze, indem zwei Holzschichten mit unterschiedlicher Faserorientierung zusammenkleben. Dieser „Bilayer“ bildet die Grundlage der programmierbaren Biegung.
Sinkt der Feuchtigkeitsgehalt im Bilayer, so schrumpft eine Schicht stärker als die andere. Durch die feste Verbindung beider Schichten, biegt sich das Brett. Mithilfe eines Computermodels lässt sich anhand bestimmter Parameter – Dicke der Schichten, Orientierung der Fasern sowie Feuchtegehalt – die Verformung, die das Holz bei der Trocknung vollzieht, genau errechnen beziehungsweise „programmieren“.
Neue Wege für nachhaltiges und leistungsstarkes Bauen
Mit dem neuen Verfahren gelang es den Forschern bereits, bogenförmige Holzgebäudeteile von bis zu fünf Metern Höhe herzustellen. Eine erste bauliche Anwendung fand die Methode beim spiralförmigen „Turm an der Birke“ in Urbach bei Remstal. Die experimentelle Holzkonstruktion aus komplex gekrümmten und selbstformend hergestellten Holzbauteilen maß 14 Meter und war bis zum 20. Oktober 2019 als Teil der Remstal Gartenschau 2019 zu bewundern.
Dylan Wood, der Leiter der Forschungsgruppe Materialprogrammierung am Institut für Computerbasiertes Entwerfen der Uni Stuttgart ist vom großen Nutzen der Entdeckung überzeugt: „Dies eröffnet neue Wege für ein nachhaltiges und dennoch leistungsstarkes Bauen sowie eine neue Perspektive auf die digitale Konstruktion und Fertigung von hölzernen Groß-Bauteilen mit komplexen Geometrien.“ Die Programmierbarkeit der Biegung dürfte auch insofern von Bedeutung sein, als gebogene Bauteile für Dachkonstruktionen und Wände eine höhere strukturelle und materialwissenschaftliche Leistungsfähigkeit aufweisen als flache.