Der Trend zum naturnahen Wohnen etabliert sich seit einiger Zeit in der Architektur. Die Stadtbewohner haben Sehnsucht nach mehr Natur in ihrem unmittelbaren Umfeld. Weitläufige Grünflächen und Parks gehören ebenso dazu wie vertikale Gärten. Die begrünten Fassaden stellen nicht nur besondere Herausforderungen an die Auswahl der Pflanzen und die Statik des Gebäudes, sondern vereinen zahlreiche Vorteile, die dem gesamten Stadtviertel zugute kommen. Wir erläutern Ihnen, welche das sind und zeigen Ihnen bereits realisierte Beispiele aus ganz Europa.
Die Idee der Green Walls
Friedensreich Hundertwasser stattete bereits 1978 ein Gebäude der Banca Catalana in Barcelona mit einem Wandgarten aus. Er verkleidete die Fassaden mit Hunderten von Pflanzkästen, aus denen es wie in einem Dschungel sprießt. Die Idee an sich ist jedoch viel älter. Für den italienischen Architekten Matteo Thun (*1952) stellt die grüne Architektur eine Rückkehr zur Normalität dar, eine erneuerte Verbindung zwischen Mensch und Natur.
In jüngerer Zeit prägte vor allem der französische Botaniker und Gartenkünstler Patrick Blanc (*1953) die Vision der vertikalen Gärten. Er verschönerte die Fassade des Caixa Forum in Madrid mit 15.000 Pflanzen aus 250 verschiedenen Arten. Auch das Musée du Quai Branly in Paris trägt seine Handschrift: Er gestaltete dort einen Wandgarten auf 800 Quadratmetern.
Im Oktober 2014 stellte der Italiener Stefano Boeri in Mailand zwei riesige Wohntürme fertig. Sie heißen „Bosco verticale“ – vertikaler Wald. Auf 76 bzw. 110 Metern Höhe wachsen 20.000 Pflanzen in schubladenartigen Trögen übereinander, darüber hinaus etwa 800 Bäume mit einer Höhe von bis zu neun Metern. Sie müssen sowohl der starken Sonneneinstrahlung als auch dem Feuchtigkeitsverlust und dem stärkeren Wind in höheren Stockwerken trotzen. Deshalb eignen sich insbesondere Kletterpflanzen wie Wein, Stauden und kleine Gehölze. Doch auch Koniferen und Eichen sind denkbar.
{}
Vorteile der Fassadenbegrünung
Pflanzen erzeugen Sauerstoff, sie filtern Staub, Schadstoffe und Lärm. Außerdem verbessern sie die Luftqualität und regulieren starke Temperaturschwankungen. Inwieweit sich dadurch das städtische Klima faktisch verbessern kann, darüber streiten die Experten. Um messbare Effekte zu erzielen, wären in einer Straßenflucht mehrere hundert Quadratmeter begrünte Fassaden notwendig. Es gibt zwar einige Studien zum Thema, sie bestätigen jedoch lediglich die seit langem bekannten positiven Auswirkungen und die bescheidenen Vorteile. Erste neuere Projekte befinden sich in der Testphase.
Die Fachleute sind sich aber in dem Punkt einig, dass das Grün positive Auswirkungen auf die Psyche des Menschen hat. Hitze empfinden Großstädter beispielsweise in bepflanzten Innenhöfen als angenehmer. Viele von ihnen wünschen sich mehr Grün in ihrer unmittelbaren Umgebung und deswegen können begrünte Fassaden zur Imageförderung einer Stadt beitragen. Die vertikale Bauweise der Green Walls hat auch den Vorteil, dass weniger Grundfläche notwendig ist. Die demografische Entwicklung lässt Wohnraum in die Höhe wachsen, die grünen Oasen folgen ihm.
© Raffaella Faverzani; pixabay.com/de/ausstellung-milan-2015-1157790/
Weitere Entwicklungen sind notwendig
Im Moment sind die Wandgärten noch mit höheren Kosten verbunden. Dies betrifft nicht nur die gewählte Unterkonstruktion, sondern auch ein geeignetes Bewässerungssystem. Kann Regenwasser genutzt werden? Wenn ja, welche Auffangmöglichkeiten gibt es? Außerdem spielt die Statik des Gebäudes eine Rolle: Wie müssen Architekten und Ingenieure das Bauwerk gestalten, damit die Pflanzen auch Stürmen standhalten? All diese Fragen erfordern Antworten, die sicher im Laufe der nächsten Jahre gefunden werden. Für Stadtplaner ermöglichen die Pflanzenwände neue kreative Spielräume. Die internen und externen Grünflächen stellen dabei einen Teil des architektonischen Konzepts dar – eine Einheit von Gebäude, Mensch und Natur.